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Imagon

Imagon

Titel: Imagon
Autoren: Michael Marrak
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Nachrichten, durchforsche sie nach verdächtigen Meldungen, nach Anhaltspunkten für ihre Aufenthaltsorte und nach Vorboten dessen, was über uns kommen mag. Ihre Vorzeichen sind unverkennbar: die sich häufenden, gewaltigen Seebeben im Pazifik, die ihren Ursprung in der Bismarck-See haben, und die nachfolgenden, verheerenden Springfluten, die weite Küstengebiete Papua-Neuguineas und die Tuamotu-Inseln verwüsteten. Oder die für die Wissenschaft rätselhaften Invasionen von Myriaden gigantischer Quallen der Art Phyllorhiza punctata vor den Küsten von Louisiana, Mississippi und Alabama; Tiere, deren ursprüngliche Heimat der Pazifik ist und deren Schirmdurchmesser gewöhnlich nur fünfzehn Zentimeter beträgt. Jene Quallen, die im Golf von Mexiko seit Wochen die Wasserwege zwischen den Inseln blockieren, erreichen jedoch eine Größe von über neunzig Zentimetern.
    »Die Quallen folgen ihren Wegen …« – Das waren DeFries’ Worte.
    Ich könnte viele Dinge aufzählen, die Experten ihres Fachs als Naturphänomene, Wetterkapriolen oder zyklische Plagen bezeichnen würden: das rätselhafte Sterben von Millionen von Fischen an der westafrikanischen Küste, die zunehmenden, verheerenden Stürme, die über Südostasien und Ozeanien hinwegfegen. Die gewaltigen, Dutzende von Kilometern langen kerzengeraden Schneisen, die sich von den Küsten her in die Regenwälder von Puerto Rico, Venezuela, Sumatra oder Madagaskar hineinziehen, fast so, als seien riesige Schnecken durch den Dschungel gekrochen. Oder auch die gigantischen Tafeleisberge, die sich seit einigen Wochen in ungewohnter Zahl vom antarktischen Schelfeis lösen und in den Atlantik treiben. All das könnten tatsächlich Launen der Natur sein. Doch sie sind es keineswegs.
    Es gibt zudem eine beunruhigende Zunahme nationaler und internationaler Konflikte. Es scheint fast, als ob sie Spaß daran gefunden hätten, die Menschen zur Selbstausrottung zu nötigen. Gleichwohl: Wir sind längst nicht mehr das Schlachtvieh und die Sklaven von einst. Wir sind intelligent geworden. Der Shoggothe hat das Wissen um die Aerosol-Bombe zweifellos auf die Esh’maga übertragen. Sie wissen nun, dass wir Waffen besitzen; furchtbare Waffen, die sogar ihnen zur Bedrohung werden können. Vielleicht ist es das, was sie zögern lässt, sich zu offenbaren. Dennoch: Sie sind hier …
    Schon bald wird ein neuer Krieg beginnen. Vielleicht wird es der letzte sein um die Herrschaft dieses Planeten, vielleicht auch nicht. Wer ahnt schon, welche Schrecken jenseits unseres Sonnensystems noch auf der Lauer liegen und diese Welt beobachten.
    Ich weiß nicht, was zwischen dem 4. Juni und dem 22. September mit mir geschehen ist. An jene Monate, die ich – und das ist mehr als nur eine dunkle Ahnung – auf der anderen Seite verbrachte, habe ich keinerlei bewusste Erinnerung. Ich weiß nicht, was ich ihnen bedeute und ob sie mich suchen werden, sobald ihre Zeit angebrochen ist. Daher werde ich mich – zumindest bis zum Ende des arktischen Winters – hier in Ruomos Hütte versteckt halten. Schon allein mein Aussehen ist Grund genug, mich nicht allzu häufig unter Menschen zu zeigen. Falls ich es doch tue, dann nur von Kopf bis Fuß vermummt, so dass das einzige, was die Leute im Ort von mir kennen, meine Stimme bleibt. Solange die Polarnacht herrscht und die Temperaturen weit unter vierzig Grad liegen, macht sich über meine Vermummung auch niemand Gedanken.
    Hansen, Ruono und Anuka versorgen mich weiterhin mit dem Nötigsten. Ab und an schaut der Pilot auch mal vorbei, um sich mit mir zu unterhalten. Man hat ihm für unbestimmte Zeit seine Pilotenlizenz entzogen, daher hält er sich nun mit seinem Supermarkt über Wasser und verbringt mehr Zeit mit Saufen, als gut für ihn ist. Doch die verlorene Lizenz ist nicht der ausschlaggebende Faktor für seine zunehmenden Depressionen Hansen teilt nur einen verschwindend geringen Bruchteil jener Erfahrungen und Erinnerungen, die ich mit mir herumschleppe, aber dieser ist ausreichend, um ihm die Gewissheit zu geben, dass – wie er zu sagen pflegt – ›dort draußen etwas im Busch ist‹. Dort draußen, das ist für Hansen ebenso wie für alle anderen im Ort die ganze verlorene Welt jenseits von Mestersvig.
    Ich muss oft an Nauna denken, an ihre Worte und ihre Briefe, an unsere gemeinsame Zeit in ferner Vergangenheit, an ihre Berührungen … und an das, was womöglich geschehen wäre, wenn wir uns niemals begegnet wären. Manchmal scheint es mir gar
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