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Imagon

Imagon

Titel: Imagon
Autoren: Michael Marrak
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Seite …
    Erst nach langem Zögern begann ich, mich dem Monument weiter zu nähern, bis es zu zyklopenhafter Größe herangewachsen war und mich nur noch wenige hundert Meter von der Welt dahinter trennten. Von Faszination und Grauen gleichermaßen überwältigt, blickte ich schließlich zu einem Torbogen empor, der in seiner Gewaltigkeit alles Menschenerdenkliche übertraf. Vom Fundament bis zum Scheitelpunkt ragte er annähernd dreihundert Meter hoch auf, indes seine Spannweite über einen halben Kilometer betrug. Es war jedoch nicht die Riesenhaftigkeit des Tors, die mich erschütterte, sondern seine Beschaffenheit.
    Hunderte und Aberhunderte monströser, lidloser Augen starrten auf mich herab. Sie krochen wie Schnecken über den Torbogen, glitten über seine Oberfläche, versanken in ihr, nur um an anderer Stelle wieder hervorzuquellen. Ihre Pupillen waren dünne schwarze Schlitze, die auf blassgelben Iriden schwammen und mich an die Augen von Kaimanen und bösartigen Katzen erinnerten. Keinerlei Emotion glomm in ihnen, nur ein Ausdruck von Überlegenheit, der sich tief in mein Bewusstsein fraß; viel zu tief … Ich fühlte mich wie ein lästiges Insekt, das man angeekelt betrachtet, ehe man es zertritt.
    Mich überkam unvermittelt das Gefühl, in meinem Rücken weitere durchdringende Blicke zu spüren. Ich hielt den Atem an, lauschte und wandte mich dann langsam um. Wie einst die amorphe Wächterkreatur in der Kaverne, hatten sich hinter mir drei wurmartige Geschöpfe aus dem schwarzen See erhoben und sich lautlos genähert. Ihre meterhohen Körper reflektierten keinen Funken Licht, schienen fast aus der Dunkelheit selbst gewachsen zu sein. Ich wich vor den langsam herangleitenden Geschöpfen zurück, verharrte jedoch, als mir bewusst wurde, dass sie mich zielstrebig auf den Torbogen zutrieben. Einer der Würmer zuckte daraufhin drohend heran. Geh!, explodierte eine Stimme in meinem Kopf. Bring deine Welt dar! ER wartet auf dich!
    Ich war rückwärts gestolpert und in den Nebel gestürzt. Hastig erhob ich mich wieder und erkannte nun, dass weitere dieser Wurmkreaturen sich aus der Schwärze erhoben. Bald bildeten Dutzende von ihnen vor dem Torbogen einen weiten Halbkreis, den sie beharrlich enger zogen, um mich immer näher an das glühende Portal zu drängen. Von lauernden Blicken begleitet, trat ich schließlich rückwärts durch den Torbogen in den leuchtenden Nebel – und unmerklich, aber unaufhaltsam begann etwas in mir zu zerbrechen.
     
    Geblendet von der Helligkeit auf der anderen Seite des Portals, nahm ich mit tränenverschleiertem Blick meine neue Umgebung wahr. Die dominierende Farbe war Rot. Dort jedoch, wo ich stand, leckte der schwarze Nebel weiterhin kniehoch um meine Beine. Ich wischte mir die Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln und sah mich um. Keine Armee tentakelbewehrter Plasmamonster wartete auf mich, um über mich herzufallen, und auch aus dem Tor folgte mir keines der Schattenwesen nach. Einsam und allein stand ich etwa zweihundert Meter von einer sich sanft aus dem Nebelsee erhebenden Küste entfernt. Sie erstreckte sich von Horizont zu Horizont und sah aus, als bestehe sie aus bloßliegenden Muskelsträngen.
    Am Ufer angekommen, lief ich über leicht ansteigendes Gelände zum Scheitel eines niedrigen Hügelkammes. Die Landschaft, die sich von der Kuppe aus überschauen ließ, war verhältnismäßig eben und von eigenartigen Wurzelsträngen überzogen, die wirkten wie ein weit ausgedehntes Adergeflecht. Keine Pflanze entwuchs dem weichen, fleischartigen Boden, kein Lebewesen bewegte sich unter dem sonnenlosen Himmel. Letzterer wirkte wie die von Dampfschwaden verhüllte Kuppel eines gigantischen, organischen Gewölbes. Jeder Blick in die Höhe erzeugte Schwindel und verwirrte meine Sinne. Vom Bedürfnis getrieben, den sezierenden Blicken, die mich vom Torbogen trafen, zu entkommen, kehrte ich dem Monument den Rücken und lief in die Wüste. Falls hier irgendetwas auf meine Anwesenheit Wert legte, würde es sich früher oder später zu erkennen geben.
    Auf den ersten Blick schien die Landschaft verlassen zu sein, doch ich machte mir über die Welt, in die es mich verschlagen hatte, keine Illusionen. Ich erinnerte mich an Bücher, die ich in meiner Kindheit gelesen hatte und die sich nun wie heimtückische Diebe in meine Erinnerung schlichen, um mir den Verstand zu rauben. Bücher wie Alice im Wunderland oder Der Zauberer von Oz, die riefen: ›Du träumst, du träumst!‹
    Doch die
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