Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
für mich und erwiderte sanft: »Er ist von meinem Blut, doch seine Seele ist mir fremd geworden. Ich werde mit ihm sprechen, aber mehr vermag ich nicht zu tun. Er wird nach dem Rat seines Herzens handeln.«
    Â»Dann wird er sich töricht verhalten«, antwortete Iri.
    Ich fragte ihn nicht, was er damit sagen wollte. Ich hatte ihn wenigstens dazu gebracht, Verhandlungen in Betracht zu ziehen. Kein Preis war mir zu hoch, um sinnloses Blutvergießen zu vermeiden; doch gab ich mich keinen falschen Hoffnungen hin: Die Tungusen würden die Wälder verwüsten. Ihnen ging es nur um Eroberungen, Beute und Ruhm. Nagasume Tomi lebte seit Jahren bei den Ainu. Welche Entscheidung würde er treffen, wenn er die Freiheit und den Lebensraum seines Volkes bedroht sah?
    Iris Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Wenn es mir gelingt, das Ostmeer zu erreichen«, sagte er feierlich, »werde ich an der äußersten Grenze des Landes ein Heiligtum zu Ehren der Göttin errichten. Das Gebäude soll aus Basaltblöcken und Edelhölzern entstehen und mit Zierrat aus purem Gold versehen werden. Es wird höher sein als der höchste Festungsturm und Jahrhunderte überdauern …«
    Seine Augen funkelten. Seine Stimme hatte den düsteren, leidenschaftlichen Klang, den ich so gut kannte. Ich spürte seine Willenskraft, seine Macht. Ja, dachte ich, er wird sein Ziel erreichen. Einen Augenblick lang rieselte es mir kalt über den Rücken, doch ich zog meine Hand nicht zurück, als er sie ergriff und streichelte …
    Â 
    Ende des Kirschblütenmonats (März) verließ das Geschwader den Hafen von Amôda. Jede Galeere hatte fünfzig Krieger und zehn Pferde an Bord. Iri hatte die Regentschaft meinem Onkel Tsuki-Yomi, »Majestät Wächter des Mondes«, übertragen, einem kühlen, besonnenen Mann, der den üblichen Hofintrigen gelassen gegenüberstand. Iri hatte eine kluge Wahl getroffen, denn er wusste, dass sich seine Abwesenheit über Jahre hinziehen konnte. Als Bruder der verstorbenen Sonnenkönigin wurde Tsuki-Yomi eine besondere Verehrung zuteil.
    Wir überquerten die Meerenge und gingen bei Takeri, einer unserer ersten Niederlassungen, an Land. Die Ankunft des Riesenheeres brachte unzählige Versorgungs- und Unterkunftsschwierigkeiten mit sich. Es entstanden Unruhen, denn die Soldaten plünderten die Felder und die Hütten der Bauern. Es war bereits Sommer geworden, als wir mit tausend Reitern aufbrachen, um auf dem Landweg die Festung von Takashima zu erreichen. Dort sollten unsere Schiffe uns erwarten.
    Bei diesem Marsch hatten wir unsere ersten Begegnungen mit den Ainu. Sie lebten in Dörfern, deren Strohhütten sich leicht in Brand stecken ließen. Iris Befehl lautete, die Männer zu töten und die Frauen und Kinder als Sklaven zu verschleppen. Doch die Tungusen merkten bald, dass die Frauen sich mit der gleichen Unerschrockenheit zur Wehr setzten wie die Männer, und sie begannen, alles, was sich regte, niederzumetzeln. Die Grausamkeiten auf beiden Seiten widerten mich an, doch sie gehörten zur Wirklichkeit des Krieges.
    Da erreichte uns eine folgenschwere Nachricht aus Takeri. Die Tungusen benutzten von jeher Brieftauben, um Botschaften zu übermitteln, und wir hatten diesen Brauch auch in Yamatai eingeführt. Die Taube war am Vorabend in unserem Lager eingetroffen und einer der Offiziere hatte sie behutsam dem König überbracht. Ein winziger Zylinder aus gehämmertem Silber war an einem ihrer Beine befestigt. Vorsichtig hatte Iri den Zylinder gelöst und das Siegel aufgebrochen. Die Botschaft war von seinem Vetter Yi-Am, dem Oberbefehlshaber der Flotte. Er teilte Iri mit, dass Nagasume Tomi mit einem Heer von über zweitausend Ainu an der Mündung des Yodo-Flusses lagerte.
    Iri hatte sofort eine Ratssitzung einberufen. Die Entschlüsse der Tungusen konnten sich so plötzlich ändern wie der Steppenwind die Richtung. Iri lag viel daran, Nagasume Tomi als Vasall zu gewinnen. Und er wollte vermeiden, dass weitere Ainu-Stämme sich Nagasume Tomi anschlossen und dadurch sein ohnehin schon gewaltiges Heer verstärkten.
    Die Zeit drängte: Noch am gleichen Abend wurde beschlossen, vor Morgengrauen aufzubrechen und den Rückzug nach Takeri anzutreten. Vier Tage waren wir bereits unterwegs und ritten ohne Ruhepausen. Die Zähigkeit und Ausdauer der Tungusen war bewundernswert: Sie konnten zehn Stunden und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher