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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs
Autoren: Mark Frost
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einen Schlüsselbund hervor, ließ ihn aber gleich fallen.
    »Wenn Sie die Güte hätten … mir die Ehre zu geben …«, sagte der Reverend müde und angestrengt. »Na klar.«
    Dante hob die Schlüssel auf, der Reverend suchte den richtigen heraus, und Dante öffnete das Vorhängeschloß. Dann klappte er die beiden Platten in ihren schweren Angeln hoch. Zum Vorschein kam eine Treppe, die tief hinunter in die Erde führte.
    Wieder faßte der Reverend Dantes Arm, und Dante half ihm die Stufen hinunter. Der Reverend reichte ihm eine Schachtel Streichhölzer und bedeutete ihm, eine Laterne anzuzünden, die an einem Haken neben der schwarzen Steintür am Fuße der Treppe hing. Die Tür erinnerte Dante an einen Banktresor, den er einmal gesehen hatte. Im Schein der Laterne schloß der Reverend die Tür mit einem anderen Schlüssel auf und stieß mit einer Hand leicht dagegen. Lautlos schwang sie auf.
    Ein Schwall kühler, erfrischender Luft wehte ihnen entgegen. Der Reverend atmete tief ein und lehnte sich haltsuchend an den Türrahmen.
    »Alles okay, Sir?« fragte Dante in kläglichem Ton.
    Der Reverend nickte und lachte leise über soviel Fürsorge; er zerzauste Dante das Haar und winkte ihn hinein. Es war ein sauberer Raum, aus glattem Stein gehauen, kalt und einladend wie Quellwasser. Ein erdiger Geruch, der Dante an einen Friedhof im Regen erinnerte. Der Reverend ließ sich langsam auf den einzigen Stuhl sinken, nestelte seine Uhr hervor und schaute noch einmal nach der Zeit.
    »Sie werden hier warten, mein Junge«, sagte er und nahm Dantes Hand; er sprach einfach und geradeheraus. »Lassen Sie die Tür offen. Frederick wird kommen und etwas bringen, das ich brauche; wenn er es tut, läuten Sie diese Glocke hier an der Wand, und ich komme es holen. Gehen Sie nicht wieder nach oben, und folgen Sie mir nicht in diesen Gang …«
    Der Reverend deutete in einen dunklen, gebogenen Korridor, der aus der Kammer hinausführte. Er war aus dem gleichen schwarzen Marmor gehauen.
    »Wenn jemand anderes als Frederick kommt, werden Sie ihn töten. Haben Sie verstanden?«
    »Jawohl, Reverend.«
    »Braver Junge.« Der Reverend tätschelte Dantes Hand. »Helfen Sie mir auf, und es kann losgehen.«
    Dante zog den Reverend auf die Beine; der Mann war so leicht wie eine Vogelscheuche. Reverend Day packte die Laterne mit einer Hand und ging zur Mündung des schwarzen Korridors; er lächelte und winkte Dante noch einmal zu. Dante winkte zurück. Dann hinkte der Reverend um die Ecke und war verschwunden. Dante blieb allein im Dunkeln zurück; er setzte sich der Tür gegenüber auf den Stuhl, legte seinen Koffer auf die Knie und öffnete sorgfältig die Schließen. Tastend erfühlte er seine beiden Lieblingsmesser und nahm sie heraus; dann klappte er den Koffer zu und stellte ihn behutsam neben seinen Stuhl. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und bald erhellte ein mattrotes Glühen die Umrisse der offenen Tür.
    Er bemerkte, daß draußen die Glocken verstummt waren.
     
    Lange bevor es ihn erreichte, sah Jacob das Licht der Laterne aus dem Labyrinth näherkommen; es schimmerte auf den glatten schwarzen Wänden. So lange hatte er in völliger Finsternis gelegen, daß er ein paar Augenblicke brauchte, um herauszufinden, in welche Richtung er schaute: nach oben? nach unten? Seit einer Weile schon hörte er das geisterhafte, unzusammenhängende Echo von tausend murmelnden Stimmen, das gleichförmige Gesumm einer Menschenmenge, das von irgendwo dort oben herabwehte.
    Er entsann sich, daß er auf dem Boden lag; unter ihm war kalter Stein, und Hände und Füße waren taub von den Einschnürungen des Seils. Als sein Bewußtsein zurückgekehrt war und er gemerkt hatte, daß er immer noch atmete, hätte die Überraschung kaum größer sein können; sicher mußte der Reverend ihn doch inzwischen umgebracht haben. Vielleicht hatte er es ja auch getan. Vielleicht war dies der Beweis für ein Leben nach dem Tode. Wenn ja, sollte man doch meinen, daß die sich hier drüben ein paar Lampen leisten könnten.
    Wenn man bedenkt, wie lausig ich mich fühle, dachte Jacob, als ihm klar wurde, daß er noch lebte, dann könnte ich genausogut tot sein. Aber wenn das Reverend Day ist, den ich da kommen höre, dann brauche ich vielleicht nicht mehr lange zu warten.
    Die schlurfenden Schritte, das Sporengeklirr. Ja, er war es.
    Reverend Day betrat die Kammer, und im Licht seiner Laterne sah Jacob zum ersten Mal, daß es ein runder Raum war, in
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