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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs
Autoren: Mark Frost
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Himmel weiß wohin – machen, und zwar aus denselben Gründen, die dich schon nach Chicago gebracht haben: Weil du ein Mann bist, der glaubt, daß man Orakelvisionen Beachtung schenken muß, selbst wenn sie ungebeten zu achtundsechzig Jahre alten Männern kommen, deren Gesundheit alles andere als gut zu nennen ist und die kein Leben geführt haben, das du als tatkräftig zu beschreiben versucht wärest. Denn inzwischen hast du festgestellt, daß ein Teil dieser. Vision bereits eingetroffen ist: Das Exemplar des Tikkunei Sohar wurde aus Rabbi Brachmans Synagoge in Chicago gestohlen.
    Vor allem aber: Wenn du dich jetzt abwendest und Luzifer tatsächlich irgendwo in einer Wüste erscheint und die Erde am Ende dem Bösen in die Hände fällt, wie es dieser Traum da zu verstehen gibt … na, wenn du dich jetzt schon elend fühlst, dann stell dir nur vor, wie miserabel dir dann erst zumute sein wird.
    Da kommt der Zug. Herr im Himmel, gib acht auf meinen Sohn – vielleicht sollte ich warten, bis Lionel da ist, bevor ich davonlaufe. Was ist, wenn er auch in Gefahr ist? Ich könnte ihm wenigstens einen Brief schreiben …
    Nein. Das ist nicht das, was die Vision dir rät. Entspanne dich, Jacob. Atme, laß dein Herz zur Ruhe kommen. So ist es besser. Es gibt eine wundervolle Zuversicht, die mit dem Verlust des Verstandes einhergeht; man braucht sich nicht mit annähernd so vielen Bedenken herumzuschlagen.
    Hast du deine Fahrkarte? Ja, hier ist sie. Wenn bloß dieser alte Koffer nicht so schwer wäre; ich habe ja noch nie für eine so unvorhersehbare Reise packen müssen – wer weiß denn, wieviel man da mitnehmen muß …
    Moment mal: Was waren die Worte, die du immer benutzt hast, um die Leidenden in deinem Tempel zu trösten? Alle unsere Probleme sind vorübergehend; warum also ihretwegen traurig sein?
    Und ein bißchen Trost, nicht wahr, kannst du auch aus jenem anderen Teil der Vision ziehen, den du nicht verstehst. Aus diesen Worten, die dir immer wieder durch den Kopf gehen.
    Wir sind sechs.
    Keine Ahnung, was es bedeutet. Aber klingt irgendwie ermutigend, nicht wahr?
     
     
    SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN
    Die Canton erreichte den Hafen von San Francisco am späten Nachmittag, aber es war dunkel geworden, ehe die Behörden die ersten Arbeiter von Bord ließen. Wohl besser, wenn die weißen Bürger der Stadt nicht bei Tageslicht sahen, wie so viele Asiaten Fuß auf ihr Gestade setzten, dachte Kanazuchi.
    Als die Menge vorwärtsdrängte, um an Land zu gehen, bahnte er sich seinen Weg ans Ende der Meute, so daß er das Treiben auf dem Pier beobachten konnte. Zwei Chinesen am Fuße der Gangway brüllten Befehle auf Mandarin, während die Arbeiter das Schiff verließen – geradeaus, nicht schwatzen, in das Gebäude dort! Schwarz uniformierte Wachen mit langen Schlagstöcken bildeten einen lockeren Korridor, durch den die Massen der Einwanderer sich wie eine Rinderherde zum hohen Eingang eines langen Registrierungsschuppens wälzten.
    Im Innern des Schuppens stellten sie sich auf weiteres Befehlsgebell hin gehorsam hintereinander auf und legten ihre Papiere einer Reihe von weißen Beamten vor, die auf hohen Bänken saßen. An breiten Tischen, die zu diesen Bänken hinführten, nahmen die Wachen den Arbeitern ihre Habseligkeiten ab und öffneten sie zum Zwecke der Inspektion.
    Kanazuchi begriff, daß er andere Vorkehrungen treffen mußte.
    Drei verlotterte Besatzungsmitglieder auf dem Vordeck über ihm unterhielten sich blökend über ihren bevorstehenden Landgang; mit seinem zweiten Gesicht sah Kanazuchi, daß die erwarteten Saufereien und Ausschweifungen ihre untere Leibesmitte schon jetzt stimulierten. Er drückte sich rückwärts in den Schatten, als die letzten Chinesen die Gangway hinuntergetrieben wurden.
    Mit der stählernen Kraft seiner Finger zog er sich an einem Tau die zwanzig Fuß hoch, ließ sich lautlos hinter die Matrosen fallen und wartete, bis einer von ihnen, ein muskulöser, krummbeiniger Maschinenmaat, zur Seeseite an die Reling trat, um seine Blase zu entleeren. Als der Maat fertig uriniert hatte, schlossen zwei Hände sich um sein Gesicht, stark wie Bärenpranken. Eine Peitschenbewegung, ein leises Schnappen, und das Genick des Mannes war gebrochen. In dreißig Sekunden hatte er ihn seiner Kleider entledigt, und der Heilige Mann war, mit dem Leichnam auf seinem Rücken, über die Reling gestiegen.
    Kanazuchi hielt sich am Schiffsgeländer fest, um sich außen am Schanzkleid entlangzuschieben, bis er
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