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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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überließ mich den Träumen, die mich in das Dunkel des Ozeans zogen, noch tiefer, in den Frieden eines Grabes. Ich dachte: Jetzt braucht sie nicht mehr die Königin zu sein, die über Glück und Unglück gleichermaßen Erhabene. Jetzt hat sie all ihren Stolz abgelegt, sie ist glücklich. Und mit diesen Gedanken schlief ich ein.

    Während der zehn vorgeschriebenen Trauertage ruhte in Amôda jede Arbeit. Die Fischer warfen keine Netze aus, die Bauern bestellten ihre Felder nicht. Es wurde kein Markt abgehalten. Man ging nicht in die öffentlichen Bäder, schnitt sich nicht die Fingernägel, kämmte und rasierte sich nicht. Nur die Schmiede blieben am Werk, da die während der Trauerzeit geschmiedeten Waffen als die edelsten und besten gerühmt wurden. In jedem Herd wurde das Feuer Tag und Nacht geschürt. Es galt als böses Omen, wenn die Flammen erloschen.
    Am letzten Trauertag war es, als ob die Menschen aus tiefem Schlaf erwachten. Das Erste, was erklang, waren die Trommeln. Der dumpfe Rhythmus erfüllte die Stadt, brandete gegen die Hügel, gegen Himmel und Meer. Das Leben war zum Stocken gekommen, nun brach es in all seiner Klangfülle aus, in all seinen Farben und Bewegungen. Nach der Stille der Trauer wurden Worte und Handlungen zur sinnlichen Wahrnehmung, vom Trommelschlag und Zirpen der Flöten verzaubert. Man hatte gefastet; jetzt wurde gegessen und getrunken. Die Menschen lachten, tranken und tanzten miteinander. Die Bauern brachten zu Ehren der Neuen Königin ihren besten Reiswein, und es wäre ungehobelt gewesen, ihre Gabe zu verschmähen.
    Seit meiner Rückkehr von der Heiligen Insel hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Tag und Nacht wurden eins. Bald hatte auch ich reichlich getrunken und lag berauscht auf meiner Matte. Das Zimmer glühte, funkelte um mich herum. Vor- und rückwärts gingen meine Gedanken, vorund rückwärts auf den Flügeln der Trommeln. Mein Körper bebte, das Zirpen der Flöten klang in mir wider. Eine unerträgliche Hitze verbrannte mich. Ein Gesicht erfüllte meine Seele, mein Herz, jede Faser meines Körpers. Ich wälzte mich hin und her, wiederholte stöhnend einen Namen.
    Irgendwann schreckte mich ein Geräusch an der Schiebetür aus meiner Betäubung. Stumpfsinnig richtete ich mich auf, sah Miwa vor meiner Matte knien. Mit gesenkten Augen teilte sie mir mit, dass der Verehrungswürdige Iri-no-Mikoto mich zu sprechen wünsche. Ich runzelte ungehalten die Stirn. Iri? Wer war Iri? Plötzlich erinnerte ich mich und erstickte ein Auflachen. Mein Retter, natürlich! Der Prinz. Ich zog mein rotes Gewand über die Schultern, warf die Haare auf den Rücken und befahl: »Er möge eintreten!«
    Steif verbeugte er sich auf der Zimmerschwelle. Sein Gesicht war hochmütig und kalt. Mit seinen feinen Zügen, dem geflochtenen lackschwarzen Haar fand ich ihn wunderschön; ich lächelte ihn an. Er erwiderte mein Lächeln nicht.
    Â»Toyo-no-Mikoto«, stieß er hervor, »seit Tagen benehmen sich die Leute wie die Irren. Alles ist widerwärtig, schmutzig. Meine Krieger sind außer sich, da Eure Frauen sie herausfordern und überall Streit entsteht. Die Wachen sind nicht mehr in der Lage, der Unordnung Herr zu werden. Ganz Amôda ist betrunken …«
    Er warf einen Blick auf die Flasche und die Keramikschälchen, die vor meiner Matte standen, und fügte zwischen den Zähnen hinzu: »Und Ihr seid es auch!«
    Ich strich mit der Hand über meine klebrige Stirn. Ich hatte Kopfschmerzen und er ging mir auf die Nerven.
    Â»Der Brauch schreibt es so vor«, erklärte ich ihm geduldig. »Die Königin verkörpert die Sonne, Quelle der Fruchtbarkeit und des Lebens. Stirbt die Königin, so erlischt auch die Sonne. Die Trauerzeit dient dazu, die Lebenskraft zu erneuern.«
    Ich stockte, legte erschrocken die Hand vor den Mund. Seit der Beisetzung meiner Mutter hatte ich etwas vergessen, was sich jetzt undeutlich und verschwommen einen Weg aus der Tiefe meines Unterbewusstseins bahnte.
    Was war es? Was war es nur gewesen?
    Iris schneidende Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
    Â»Das sind Eure Bräuche und nicht die meinen! Dem Schwur meiner Väter getreu verließ ich mein Land, um Euch zu Hilfe zu kommen. Ich betrachte meine Aufgabe als erfüllt. Unsere Schiffe sollen für die Rückreise klargemacht werden und die Arbeiter rühren
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