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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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keinen Finger. Wie lange muss ich noch in diesem unwürdigen Durcheinander ausharren, bevor die Leute wieder zur Vernunft kommen?«
    Ohne zu antworten, griff ich nach der halb leeren Flasche, füllte ein Schälchen und reichte es ihm. Über seine heftige Ablehnung musste ich lachen. Herausfordernd setzte ich das Schälchen an die Lippen. Ich trank zu schnell. Der Alkohol verbrannte mir die Kehle. Ein Hustenanfall schüttelte mich. Das Blut pulsierte in meinen Schläfen. Ich fuhr mit der Zunge über den kühlen Gefäßrand, näherte mich dem Prinzen, indem ich auf den Knien rutschte.
    Â»Wir sind miteinander verbündet. Habt Ihr das vergessen?«
    Â»Nein«, sagte er steif, »ich habe es nicht vergessen.«
    Das ungekämmte Haar fiel mir ins Gesicht. Ich warf es über die Schultern zurück und sagte halblaut: »Ich bin die Königin...«
    Er starrte mich an. Vergebens suchte ich auf seinem verwandelten Gesicht sein übliches lauerndes Lächeln. Stattdessen sagte er, mit einer Art von Staunen in der Stimme:
    Â»Ihr seid noch so jung …«
    Â»Jung?«, seufzte ich. »Ja, ich bin jung an Jahren, doch viele Jahrhunderte lasten auf meinem Geist. Diese Bürde ist so schwer zu tragen. Wenn Ihr nur wüsstet …«
    Was auch immer ich tat, nichts und niemand vermochte, mich von meiner Qual zu befreien, die weniger den Verstand ergriff als das Herz. Doch eine Königin hat keine Tränen mehr, die sie weinen kann, und meine Augen blieben trocken. Iri betrachtete mich eindringlich und stumm, bis ich mir mit dem Handrücken über den Mund wischte und leise auflachte.
    Â»Aber das alles ist nichts. Geruht, mit mir zu trinken, Hoheit!«
    Er beugte sich vor und diesmal nahm er die Schale. Wir sahen uns an. Iris Gesicht war plötzlich weich und voller Verständnis. Ein zärtlicher Schimmer lag in seinen Augen. Unsere Finger berührten sich. Ich streichelte seine feuchte Handfläche, dann sein Handgelenk, seinen nackten Arm.
    Â»Du bist schön«, sagte ich leise. Ohne die Augen von ihm abzuwenden, löste ich meine Schärpe. Langsam bewegte sich der rote Stoff um meine kniende Gestalt. Dann beugte ich mich nach hinten, ließ mein Gewand von den Schultern gleiten.

    Später. Ich war wieder allein und stöhnte unter Kopfschmerzen. Die Trommeln dröhnten. Der Palast hallte von gedämpftem Kichern, Flüstern, Seufzen. Die Hitze war kaum auszuhalten. Eine einzige Feuersbrunst schien Himmel und Erde mit ihrer Glut zu verzehren. Zitternde Vögel duckten sich in den Bäumen. In der Ferne heulten Hunde, immerfort, immerzu. Das Gefühl, etwas Wesentliches vergessen zu haben, ließ mir keine Ruhe. Vergeblich zermarterte ich mir das Gehirn, bis meine Finger auf einmal die Korallenkette berührten, das letzte Geschenk meiner Mutter … und es mir schlagartig in den Sinn kam: das Kästchen! Ich hatte versäumt, das Kästchen zu öffnen! Schwach wie eine Kranke, aber mit klarem Bewusstsein, richtete ich mich auf, holte das Kästchen und stellte es vor mich hin. Die Schläge meines Herzens lähmten mich fast, während ich mit klammen Händen die Kette von meinem Hals löste und den goldenen Schlüssel in das Schloss steckte. Meine ungeschickten Finger vermochten den Schlüssel kaum zu drehen. Mein Atem stockte, als ich endlich den Deckel hob und die verschiedenen Dinge darin erblickte. Behutsam nahm ich sie einzeln heraus und legte sie vor mich auf die Matte: ein winziges Bündel von Spindelbaumreisern, die eine Hanfschnur zusammenhielt. Ein vertrocknetes Eichenblatt, das, als ich es berührte, zu Staub zerfiel. Zwei »Tama«-Steine, ein roter und ein grüner. Und schließlich eine einzelne, wundervoll glänzende Perle. Ehrfürchtig ließ ich sie in meiner Hand rollen. Sie war von vollkommener Schönheit, würdig, eine Königin zu schmücken. Was bedeuteten diese Zeichen?
    Â»Denk nach!«, sprach ich zu mir. »Du musst verstehen!«
    Mein Körper klebte vor Schweiß. Mit zitternden Fingern knotete ich das Reisigbündel auf. Fünfzehn Reiser … Ich war fünfzehn Jahre alt. Ein Eichenblatt: der Heilige Wald … Ein Prickeln überzog meine Haut. Der rote weibliche Stein, der grüne männliche Stein. Zeichen des Feuers und Zeichen des Ozeans. Sonne und Sturm. Dann die Perle: Das war ich. Das war mein Name: Toyo, die »Schimmernde Perle«. Da endlich
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