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Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)

Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)

Titel: Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Autoren: Jeri Smith-Ready
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Pfeil und Bogen so routiniert über die Schulter, wie andere sich die Schuhe anzogen. Sie verließen das Lager auf Zehenspitzen, um keinen Krach zu machen. Obwohl Marek humpelte, verließ ihn seine Wolfgabe des lautlosen Schleichens nicht.
    Warm umfingen seine Finger die ihren. Mit der anderen Hand strich er sich das schulterlange hellbraune Haar von der stoppeligen Wange und entblößte so sein blasses Gesicht, das er vor Anstrengung, den Schmerz bei jedem zweiten Schritt zu unterdrücken, zu einer Grimasse verzog. Rhia tat so, als bemerke sie nichts, aber sie ging dennoch langsamer.
    Vorsichtig zupfte sie an der Lederkordel um ihren Hals, an der eine schwarze Krähenfeder hing. Wenn sie am folgenden Tag nach Kalindos zurückkehrten, könnte sie die Kette wieder abnehmen. Jeder der dreihundert Einwohner des winzigen Dorfes kannte den anderen beim Namen und dessen Schutzgeist, sodass sie keinen Sinn darin sahen, Fetische zu tragen. In den viel größeren Orten Asermos, Velekos und Tiros verlangte es die Höflichkeit, offen zu zeigen, welche Gabe man hatte. Und sosehr Rhia den Geist liebte, der sie gewählt hatte, so wünschte sie sich doch manchmal, dass sie verbergen könnte, ständig den Tod vor Augen zu haben. Es machte die Leute nervös.
    Abrupt blieb Marek stehen und warf einen Blick nach rechts,wo seine Wolfschwester Alanka in der Dunkelheit auf einem gefallenen Baumstamm hockte. Bei ihr war ihr ehemaliger Partner Adrek. Im Gegensatz zu Marek verstand Rhia nicht, was sie sagten.
    „Sie sollten Wache schieben“, sagte er.
    „Sieh mal.“ Rhia deutete nach links, wo ein weiterer Wachposten – ein Rotluchs, vermutete sie – das Lager umrundete. „Vielleicht ist die Schicht von Alanka und Adrek schon vorbei.“
    Angespannt verzog Marek den Mund. Daran erkannte sie, was ihn störte. „Geht mich nichts an.“ Er drückte ihre Hand und führte Rhia weiter in Richtung Flussufer. „Aber ich hasse es, zu sehen, wie sie den gleichen Fehler zweimal begeht.“
    Zum ersten Mal verspürte Alanka echtes Mitleid mit dem Wild, das sie jagte, und nicht nur Dankbarkeit für ihr Opfer oder Respekt für das Leben, das es gegeben hatte. Jetzt wusste sie, wie es sich anfühlte, in der Nacht von einem Puma ins Visier genommen zu werden.
    „Ich vermisse dich.“ Adrek drehte sich, um sie anzusehen. „Während der Schlacht, als ich fast gestorben bin, ist mir klar geworden, was im Leben wirklich wichtig ist.“
    „Ich bin in deinem Leben noch nie wichtig gewesen.“ Dass sie ihre Worte derart mit Bedacht wählte, stand in krassem Gegensatz zu ihrer Abneigung. „Und soweit ich weiß, ist ein verstauchter Knöchel nicht tödlich.“
    Er runzelte die Stirn und zupfte nervös am Jagdbogen, den er zwischen den Knien hielt. Beinah bedauerte Alanka ihre Antwort. Die Schlacht um Asermos war für sie alle schwer gewesen – sogar für Adrek, der kein Familienmitglied verloren hatte. Da sie wusste, welche Wirkung er selbst nach zwei Jahren noch auf sie hatte, wandte sie rasch den Blick ab.
    „Es tut mir leid“, sagte er leise. „Ich habe alles falsch gemacht. Ich dachte nur, wir könnten reden.“
    Alanka zerkrümelte ein Stück Borke, das sich gelöst hatte. Sie musste auch über die Schlacht sprechen. Mit jemandem reden,der auch getötet hatte, mit jemandem, der auch von den Geistern berufen war, das Leben von Tieren zu nehmen, nicht das von Menschen. Aber erst wenn sie bereit dazu war.
    „Du hast mir nie gesagt, wie du dich in der Schlacht verletzt hast.“ Sie versuchte, nicht spöttisch zu grinsen – einer der Rotluchse hatte ihr erzählt, was geschehen war, aber sie fragte sich, ob Adrek sich eine Geschichte ausdenken würde, um das Gesicht zu wahren.
    Er zerschlug einen Moskito auf seinem Arm. „Ich bin in ein Loch getreten.“
    „Ein Loch.“
    Seine grünen Augen funkelten, als er sie direkt ansah. „Ich war zu sehr damit beschäftigt, Pfeile auf die Nachfahren zu schießen, um aufzupassen, wohin ich trete.“
    Da war es wieder, dieses Gefühl, bei dem sich ihr der Magen zusammenzog und das sie wach hielt, egal wie müde sie war. Sie verdrängte es.
    „Etwas ist zerbrochen, als ich gefallen bin“, fuhr er fort. „Und das Nächste, was ich weiß, ist, dass jemand mich auf eine Trage gehoben hat und ich im Zelt der Heiler lag, mit dem Blut eines anderen Soldaten beschmiert.“ Angewidert verzog Adrek den Mund. „Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was du durchgemacht hast.“ Er fasste nach ihrer Hand. Alanka
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