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Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)

Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)

Titel: Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Autoren: Jeri Smith-Ready
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Locken und zog sie fest nach links. Sie drehte sich in die Richtung. Die Krähe ließ los, und Rhia begann vorwärts zu gehen.
    Vorwärts, vorwärts, sang sie in Gedanken. Sie beschleunigte ihren Schritt. Die Höhle wurde schmaler, die Decke niedriger, bis Rhia auf allen vieren durch einen Tunnel kriechen musste, der kaum breiter war als sie selbst. Wenigstens würde sie jetzt den Seelendieb nicht übersehen, weil er keinen Platz mehr hatte, an ihr vorbeizurennen.
    Der Boden neigte sich in einem steilen Winkel abwärts, und sie brauchte all ihre Kraft, um nicht nach vorn zu fallen. Einen Augenblick blieb sie stehen, um sich auszuruhen, und streichelte die weichen Federn am Hals der Krähe, um sichselbst Mut zu machen.
    Rhia wusste nicht, wie lange sie schon gekrochen war. Marek musste sich mittlerweile Sorgen machen. Lycas’ leises Klopfen mit dem Holzblock war bloß eine brüchige Verbindung zu der Welt, die sie hinter sich gelassen hatte. Er würde eines Tages aufhören müssen, und dann wäre sie für immer verloren. Die Höhle würde ihre Gegenwart, ihre Zukunft und schließlich auch ihre Vergangenheit verschlucken.
    Plötzlich hörte sie es. Unter dem Rhythmus, den ihr Bruder schlug, schwappte eine Flüssigkeit. Das Geräusch erinnerte sie an ein Boot, das sich aus zähem nassem Schlamm löste.
    Vorwärts, erinnerte sie sich selbst und bewegte sich weiter. Ihre Hände und Knie wurden an der kalten harten Oberfläche taub. Plötzlich weitete sich die Höhle in alle Richtungen. Sie setzte sich auf und streckte die Arme aus. Sie konnte die Wände nicht mehr berühren.
    Das schmatzende Geräusch hallte in der vollkommenen Dunkelheit wider. Wenigstens war sie an das Ende der Höhle gekommen und saß in einem Raum. Sie streckte die Arme auf dem Boden vor sich aus und tastete nach einer anderen Person.
    Ihre Finger tauchten in eine feuchte Masse. Sie unterdrückte einen Schrei und riss den Arm zurück.
    Wer bist du? , fragte sie nervös.
    Der Boden blubberte und quatschte, als wäre er am Leben. Sie berührte die Oberfläche und fühlte warmen, pulsierenden Matsch.
    Ich verstehe das nicht. Bashas Seelendieb war kein Mann, sondern ein ungeformtes Ding ohne Bewusstsein.
    Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab.
    Du bist nie geboren worden , flüsterte sie.
    Es antwortete nicht. Es konnte nicht antworten. Sie würde nicht mit ihm reden können.
    Noch einmal tauchte sie die Hand ein und krümmte sich vor Ekel, als die Membran sich um ihre Finger schloss. Es tut mir leid. Bitte, lass mich deiner Mutter helfen.
    Die Masse schien zu stöhnen. Sie dachte an Nilik und wiesie sich die neun Monate vor seiner Geburt bemüht hatte, ihn am Leben zu halten. Wäre auch er an einen Ort wie diesen gekommen und hätte für immer einen Teil von ihr bei sich behalten? Wie viele andere Fast-Kinder lebten hier?
    Als ihr die Antwort aufging, hätte sie beinah den Arm zurückgezogen.
    Alle.
    Tränen liefen ihr über das Gesicht. Ihre Hand glitt durch die Masse und suchte nach etwas, das ganz war.
    Beine. Krallen. Sie griff danach und zog kräftig, weil sie einen harten Widerstand erwartete. Das Ding löste sich so schnell, dass sie rückwärts umfiel und mit dem Kopf gegen die Höhlenwand schlug. Benommen rappelte sie sich auf.
    Neugierig untersuchte Rhia den Vogel in ihrer Hand. Er war so groß wie ihr Unterarm vom Ellenbogen bis zum Handgelenk und flatterte auf eine Art mit den Flügeln, die an Empörung erinnerte. Sie streichelte ihm den Kopf und fühlte kleine Federbüschel, die wie die Ohren einer Katze aus seinem Kopf ragten.
    Der Vogel stieß einen hohen Schrei aus, so wie das Wiehern eines verängstigten Pferdes. Basha war eine Eule, eine Kreischeule in ihrem Fall. Marek fände das vielleicht eines Tages zum Lachen, wenn es ihr jemals gelingen sollte, zu ihm zurückzukehren.
    Eine Welle der Müdigkeit schlug über ihr zusammen, und sie lehnte sich gegen die Höhlenwand. Jetzt schien ihr dieser Raum wie ein warmer sicherer Ort, an dem man eine Ewigkeit verbringen konnte. Für diese Kinder, die nie lebendig sein würden, war es kein karges Exil, sondern ein Zufluchtsort. Sie konnte sich hier ausruhen, nur eine Weile lang. Ihre Augenlider wurden schwer. Rhia ließ sie hinabsinken und ignorierte die Krähe, die an ihren Haaren zog.
    Ein Schmerz durchfuhr ihre Hand und riss sie aus dem Schlaf. Die Eule hatte in die feine Verbindung zwischen Daumen und Zeigefinger gehackt. Rhia rieb sich die Augen und tastete dann nach dem Eingang des
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