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Im Zeichen der gruenen Sonne

Im Zeichen der gruenen Sonne

Titel: Im Zeichen der gruenen Sonne
Autoren: Alexander Rothe
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Sträfling im Hinterhof Kreise ziehe! Tschüs, ihr zwei, schöne Ferien! Vielleicht schick ich euch ja mal ’ne SMS …« Sie drehte sich um und stieg in den Wagen.
    Der rote Kombi wirbelte eine dicke Staubwolke auf, als Familie Uhland hupend und winkend durch das Hoftor auf die Straße fuhr und hinter einer Ecke verschwand.
    »Vielleicht schick ich euch ja mal ’ne SMS«, äffte Alex sie albern nach. »Ich brate sie in einer Mülltonne und servier sie Mama zum Frühstück.«
    »… aber erst fährt sie in Urlaub und hat eine Menge Spaß«, knurrte Möhre und ließ sich seufzend auf den Eimer fallen.

Pit
    »Sauerei!«, schimpfte Pit und schloss ihr Zimmerfenster. Eine Staubwolke war in ihr Zimmer gewirbelt und lagerte Dreck auf Büchern und Zeitungen ab. Irgendjemand hatte mit seinem Auto nicht nur wie ein Schwachkopf gehupt und Pit mitten aus der Konzentration gerissen, nein, der Blödmann musste auch noch einen Kavaliersstart hinlegen, um wie eine Rakete vom Platz zu fegen! Ärgerlich wischte sie die Staubpartikel von dem aufgeschlagenen Buch, in dem sie gerade gelesen hatte, nahm ihre Brille ab, putzte sie sorgfältig, setzte sie wieder auf und machte es sich auf ihrem Bett gemütlich.
    »Wichtig war vor allem, dass es Nachwuchs im alten Sparta gab, dass er gesund und die Mutter eine Spartiatin war. Ob die Spartiatin verheiratet und ob der Vater ein Spartiat war oder nicht, war ohne Bedeutung. Das Kind einer jeden Spartiatin galt als Spartiat, selbst wenn der Vater kein Spartiat oder sogar ein Sklave war. Das Kind eines Spartiaten dagegen galt nur dann als Spartiat, wenn seine Mutter Spartiatin war. Als Nichtspartiat galt also jeder Sohn einer Nichtspartiatin, selbst wenn der Vater König von Sparta gewesen wäre.«
    »Aha, alles klar!« Pit, die eigentlich Petra hieß, legte den Artikel über das Leben im alten Griechenland beiseite. Eigentlich war ihr heute Morgen gar nicht so sehr nach Geschichte, aber ihr momentaner Lieblingsartikel – Die verblüffende Verzerrung der Desoxyribonucleinsäure, hervorgerufen durch Methyltransferase  – war unauffindbar. Sie hatte überall gesucht, auf dem Schreibtisch, im Regal. Sie hatte sogar die Teppiche hochgehoben und hinter ihre chemische Versuchsapparatur geschaut, aber ihr Artikel war und blieb verschwunden.

    Pit nahm ihre Polaroid und fotografierte die staubbedeckten Bücher auf ihrem Schreibtisch. Die Kamera hatte sie selbst gekauft, bezahlt mit dem Preisgeld von Jugend forscht ! Natürlich war sie für dieses vorsintflutliche Modell ausgelacht worden. Nicht nur dass man immer warten musste, bis sich die Bilder entwickelten, die vorne aus der Maschine herauskamen, nein, dieses Modell wurde auch gar nicht mehr hergestellt und Filme dafür waren nur unter großem Aufwand zu bekommen. Klar, eine einfache Digitalkamera wäre unkomplizierter gewesen, aber der Grund, warum sich Pit für die alte Sofortbildkamera entschieden hatte, war ein anderer. Sie wollte die Bilder auf Papier in Händen halten, dabei zusehen, wie sich Farben und Konturen langsam entwickelten und exakt das anzeigten, was nur wenige Sekunden zuvor noch Gegenwart war und jetzt schon wieder unwiederbringlich in der Vergangenheit lag. Die Fotos waren mehr als bloße Erinnerungsstücke, sie waren eine Dokumentation von Pits Umwelt, eine nüchterne, wertfreie Wiedergabe ihrer Welt, und sie zeigten, wie sie ihr Gesicht veränderte, an jedem Tag, in jeder Sekunde. Mit der Kamera konnte Pit Dinge sehen, die ihr sonst nie aufgefallen wären, und sich über Ereignisse Gedanken machen, die sie normalerweise einfach übersehen hätte. Für wen außer Pit waren schon die faulenden Reste eines halb gegessenen Apfels interessant? Sie konnte sehen, wie er seine Farbe und seine Form veränderte, langsam in sich zusammenfiel und einer Kolonie von Pilzen als Heimat diente, bis diese ihn schließlich ganz zerfressen hatten und mit ihm verschwunden waren. Pit fotografierte den Hof am frühen Morgen und am Abend und konnte aus dem Vergleich der beiden Bilder erkennen, was im Laufe des Tages im Hof alles passiert war. Auf alle entstandenen Fotos schrieb sie sorgfältig Datum und Uhrzeit und pinnte sie mit einer Reißzwecke an die Wände ihres Zimmers. Jetzt konnte Pit sich einen Tag ohne mindestens zehn Fotografien gar nicht mehr vorstellen. Sie wäre niemals aus dem Haus gegangen, ohne ihre Fototasche mit ausreichend Ersatzfilmen mitzunehmen.
    Vorsichtig wurde an ihre Tür geklopft, und ihr Vater betrat das Zimmer.
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