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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Honorar. Ich wollte kein Honorar, ich wollte nur von Ilmari und Veikko erzählen, und von Rauna und ihren Eltern, und erklären, dass man alles tun muss, um es wiedergutzumachen.«
    »Ich verstehe. Sie betonten bei Ihrer Festnahme, dass Sie diese Vernehmung nicht in Anwesenheit Ihres Anwalts führen möchten«, sagte Sundström.
    Sie nickte. »Er müsste ziemlich weit fahren. Er lebt in Turku. Und er ist auch nicht mehr … der Jüngste.«
    »Ich verstehe«, sagte Sundström. »Ihnen wird zur Last gelegt, den Gerichtsmediziner Patrik Laukkanen und den Puppenbauer Harri Mäkelä ermordet zu haben«, sagte Sundström.
    »Ich kenne die Namen nicht. Aber es stimmt, Sie haben Recht.«
    »Was stimmt?«, fragte Sundström.
    »Ich habe das getan. Das, was Sie sagen.«
    »Sie haben den Gerichtsmediziner Patrik Laukkanen und den Puppenbauer Harri Mäkelä … mit einem Messer attackiert und getötet«, sagte Sundström. »Und Sie haben Kai-Petteri Hämäläinen niedergestochen.«
    Die Frau nickte.
    »Lauter, bitte«, sagte Sundström.
    Eine lange Stille trat ein.
    Sundström setzte sich und senkte den Blick über das leise surrende Aufnahmegerät.
    Die Veränderung in der Körperhaltung der Frau vollzog sich sehr langsam, kaum merklich. Etwas schien unter ihrer Haut zu sein. Sie begann, zunächst ganz leicht, an ihren Armen entlang zu streichen, dann kratzte sie zunehmend fester, als sei sie von einem Insekt gestochen worden.
    Sundström hob den Blick erst, als die Frau begann, sich mit ruckartigen Bewegungen die Haare zu zerzausen.
    »Kann ich …«, begann er, aber das, was er anschließend noch sagte, wurde übertönt von einem aus dem tiefsten Innern kommenden, lang gezogenen Schrei, den die Frau ausstieß.
    Sie hatte die Augen geschlossen.
    Sie schrie und schrie und schrie.
    Larissa anrufen, dachte Joentaa.
    »Liebe Güte«, sagte Westerberg.
    Der Schrei verhallte, und die Frau sackte in sich zusammen. Sie sah Sundström an, der ihr wie erstarrt gegenübersaß.
    »Eine Wüste im Kopf«, sagte sie.
    »Wie bitte?«, fragte Sundström.
    »Es hat nicht geholfen«, sagte sie.
    »Was hat nicht geholfen?«, fragte Sundström.
    »Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß, dass es passiert ist, aber ich kann mich nicht erinnern.«
    Sundström schien darauf zu warten, dass sie weitersprach.
    »Haben Sie das Foto gesehen?«, fragte sie.
    »Das Foto in Ihrer Handtasche?«, fragte Sundström.
    »Ja.«
    Sundström nickte.
    Sie schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann schwieg sie, und Sundström schwieg auch und schaltete nach einigen Minuten das Aufnahmegerät ab.
88
    Die Sendung wurde fortgesetzt. Hämäläinen fühlte sich leicht. Was damit zusammenhängen mochte, dass er über dem Boden schwebte. Es verwunderte ihn, dass seine Gäste es nicht zu bemerken schienen.
    Er sprach eindringlich mit dem Feuerwehrmann, der die Toten in der Eishalle geborgen hatte. Er parlierte mit einem bestens aufgelegten Kapanen. Er sagte Bon Jovi an und rang ihm nach seinem Auftritt und nach Nennung der Tourdaten sogar einige gut gelaunte Statements über den finnischen Winter ab.
    Alles floss. Das Publikum lauschte und lachte. Die Frau und das Schweigen schienen nie da gewesen zu sein. Er begriff es nicht. Die Sendung endete mit einem Feuerwerk, dem ausgeklügelte Pyrotechnik zugrunde lag, und alle standen auf der Bühne und winkten, und Hämäläinen winkte auch.
    Dann ging er, wie auf Schienen, in seine Garderobe, trank einen, dem Etikett auf der Flasche zufolge, frisch gepressten Grapefruitsaft, und Tuula und Olli Latvala schnatterten auf ihn ein, und er hob die Hand und sagte: »Ruhe.«
    Sie verstummten.
    »Vollkommene Ruhe, bitte«, sagte er.
    Nach einer Weile sagte Tuula, dass die Frau von der Polizei mitgenommen worden sei. Sie verstehe noch nicht, warum.
    Ob er wisse, was passiert sei. Sie sagte, dass die Redaktionen für Videotext und Internet, die den Vorfall zeitnah nachrichtlich verarbeitet hatten, zunächst nur von einer vom Schmerz überwältigten Frau und einem einfühlsamen Moderator gesprochen hätten, der die Frau nicht habe bedrängen wollen.
    Hämäläinen spürte wieder den sanften Stich, er spürte ihn innerhalb weniger Sekunden an verschiedenen Stellen seines Körpers. »Ach ja?«, sagte er.
    »Ich glaube, so hat es auch das Publikum im Studio wahrgenommen«, sagte Olli Latvala.
    »Interessant«, sagte Hämäläinen.
    »Aber die Frau wurde abgeführt. Und ich weiß, dass sie eine Verbindung zu dem Unglück vermuten, zu dem
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