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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen
Autoren: Jan Costin Wagner
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ist die Frau?«, fragte Sundström.
    Der Beifall ebbte ab. Hämäläinens Stimme.
    »Salme Salonen«, sagte Joentaa.
    »Salme Salonen«, sagte Hämäläinen.
    »Was bitte?«, fragte Sundström.
    »Salme Salonen«, sagte Joentaa.
    »Willkommen, und ich freue mich ganz besonders, dass sie hier ist … Salme Salonen«, sagte Hämäläinen.
81
    Er saß am Schreibtisch, im Scheinwerferlicht. Edel und sauber das Holz. Er fühlte das glatte Papier der Zettel in seinen Händen. Zu scharf der Kontrast. Er würde das mit Tuula besprechen müssen. Erst der Sommerhit und jetzt das hier. Tuula mochte diese scharfen Schnitte.
    Die Frau kam aus dem Nebel auf ihn zu. Der Beifall begleitete sie. Sie hatte lange rote Haare, ging aufrecht und schien auf Schienen zu gleiten. Sie setzte sich ihm gegenüber und legte die Handtasche auf den freien Stuhl neben sich.
    Der Feuerwehrmann, der bei dem Unglück als einer der ersten Helfer vor Ort gewesen war, würde die Tasche zur Seite legen müssen, wenn er in einer Weile die Bühne betrat, denn er sollte zum Gespräch dazustoßen und neben der Frau sitzen. Hämäläinen nahm sich vor, die kleine Komplikation beizeiten elegant zu lösen.
    »Es ist ein großer Schritt, den Sie gegangen sind«, begann er. »Und ich glaube, da spreche ich für alle hier und auch für alle an den Bildschirmen draußen, das ist ein Schritt, den wir zutiefst respektieren, ohne uns im mindesten vorstellen zu können …«
    Die Frau lächelte ihn an.
    Er erwiderte das Lächeln.
    Später würde er den Moment nicht erklären können, nur sein Empfinden würde er beschreiben, und auch das nur einige Male.
    Unter den gespannten und ansonsten schwer zu deutenden Blicken seiner Zuhörer würde er erklären, dass er vom Moment des Begreifens unvorbereitet getroffen wurde. Dass er die Frau nie zuvor gesehen habe und nicht wisse, welcher Impuls auslösend gewesen sei. Dass er in ihre Augen gesehen habe.
    Und dass er diesen Moment als einen vollkommenen empfunden habe, als einen des Schmerzes und der Schönheit.
82
    Der Anwalt aß einen von Salme Salonens Keksen und hatte gerade auch seinen Gästen davon angeboten, und er dachte, dass sie ihm das hätte sagen müssen.
    Unbedingt hätte sie ihm sagen müssen, dass sie im Fernsehen auftritt, um über das Unglück zu sprechen, über ihren Mann und ihren Sohn.
    Der Keks schmeckte wirklich sehr gut, draußen im Garten explodierten Feuerwerkskörper, von lachenden Kindern geworfene Lichtblitze, und die Gäste im Haus, großenteils Anwälte mit Gattin, redeten durcheinander, über Fälle, die gut und über Fälle, die gut, gelaufen waren, und auf dem Bildschirm spielte sich Merkwürdiges ab.
    Kirsti, seine Frau, räumte den Tisch ab, trug Geschirr und Essensreste von hier nach dort, und irgendwann blieb sie stehen und fragte ins Stimmengewirr, das den Raum ausfüllte, hinein:
    »Ist da jetzt ein Tonausfall oder sitzen die einfach nur da und schweigen?«
83
    Auf dem Bildschirm saßen sich Kai-Petteri Hämäläinen und Salme Salonen gegenüber, und Sundström und Westerberg führten Gespräche mit Kollegen, die in erster Linie davon geprägt waren, dass man einander nicht verstand.
    »Zugriff«, rief Sundström mehrfach, aber der Kollege am anderen Ende der Leitung begriff nicht.
    »Die Frau auf der Bühne scheint die zu sein, die wir suchen«, sagte Westerberg, und auch sein Gesprächspartner hatte Rückfragen.
    »Was heißt hier: welche Frau? Da sitzt nur eine«, sagte Westerberg.
    »Haben wir jemand in der Nähe der Bühne postiert?«, fragte Sundström. »Was heißt das, du weißt nicht …«
    »Nein. Nein, die Gäste wurden natürlich nicht auf Waffen durchsucht«, schrie Westerberg.
    Joentaa saß neben Tuulikki und hörte die Stimmen der beiden in der Ferne. Er verstand nicht, warum sie sich so aufregten. Ihre Erregung stand im Gegensatz zu der Stille, die aus dem Fernseher drang.
    Eine Pause war eingetreten.
    Hämäläinen saß reglos.
    Die Frau saß reglos.
    Sie sahen sich an und schienen alles gesagt zu haben, noch bevor das erste Wort gewechselt worden war.
84
    Kai-Petteri Hämäläinen sah die Frau und hinter ihr den von Scheinwerfern beleuchteten Nebel, und dahinter die Silhouetten der Menschen, die zusahen und zuhörten, während sie schwiegen.
    Über den Knopf in seinem Ohr drangen von Zeit zu Zeit Anweisungen. Die etwas kratzige, aber voluminöse Stimme des Regisseurs, die fragte, was bitte schön los sei. Hallo. Hallo, Kai-Petteri. Kannst du mich hören?
    Er senkte den
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