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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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Gebärde. »Geloben Sie, Mr. Thompson, künftig nicht mehr Ihre Kameraden zu verdächtigen, die Ihnen gewiß nichts Übles wollen und Sie heute aus einer mehr als unangenehmen Lage gerettet haben?«
    Robert nickte überrumpelt. Er fing einen Blick von Youngboy auf, der hinter seinem Tresen an der Wand lehnte und ihnen aufmerksam zuzuhören schien. Als Robert ihm ein Zeichen mit den Augen machte, wandte sich der Wirt um und begann drei neue Rumkrüge zu füllen, dabei hatte er ihm nur bedeuten wollen, daß bei ihnen alles in Ordnung sei.
    »Hier ist Ihre Tasche, Mr. Thompson.« Climpsey hängte ihm den leinenen Beutel über die Schulter, auch er klang nun ein wenig gekränkt. »Bitte überzeugen Sie sich, daß nichts von Ihrem Besitztum fehlt.«
    »Das... wird nicht nötig sein«, preßte Robert hervor. »Ich stehe in Ihrer Schuld und danke Ihnen vielmals, Gentlemen.«
    Erst später an diesem Abend wagte er es, verstohlen über das Futter seiner Tasche zu tasten, und noch viel später, nach dem sechsten oder siebten Krug, begann ihm zu dämmern, daß Mortimer ihn der Möglichkeit beraubt hatte, jemals jenen Kragenknopf von ihm zurückzufordern, ohne sein Gelöbnis zu brechen. Und je betrunkener er wurde, desto schmerzlicher schien ihm gerade der Verlust des väterlichen Erbstücks, doch nicht nur dieses Schmerzes wegen verbrachte er den Abend und die halbe Nacht zwar in Gesellschaft der beiden Freunde, am Tresen der Mahogany Bar, wechselte aber in all den Stunden mit Mortimer und Climpsey kaum mehr als die nötigsten Worte.
    Vor seinem geistigen Auge sah er unablässig die rätselhafte Mayafrau, einmal ihre wirkliche Gestalt, die vor ihm durch die Straßen eilte, dann wieder ihren liegenden Schattenriß im Gras.

7
     
     
    Als Robert am nächsten Morgen zu sich kam, geweckt durch die dröhnenden Glocken der St. John's Cathedral, glaubte er sich einen qualvollen Moment lang nach London versetzt, in sein Jugendzimmer über dem Charles Square. Dort hatten die Glocken der nahe gelegenen St. Paul's Church ebenso mißtönend die Morgenstille zerklöppelt, und dort war er an jedem Sonntagmorgen von seinen Eltern und seiner Schwester Madge zum Gottesdienst getrieben worden, wo er in der Chorbank mehr als einmal in Schlaf gesunken war, überwältigt von Weihrauchduft und Müdigkeit.
    Aber er befand sich nicht mehr am Charles Square, das alles hatte er hinter sich gelassen, dem Himmel sei Dank. Reglos lag er in seinem Bett, hinter den verhängten Fenstern seines Zimmers in Molton House. Sein Schädel schmerzte, seine Zunge fühlte sich pelzig an, und wie an jedem Morgen verfluchte er den Rum, dem er auch in dieser Nacht unmäßig zugesprochen hatte. Lieber als Trunkenbold in der Mahogany Bar enden, dachte er aber, als am Charles Square das Leben eines hölzernen Hampelmanne s führen, angekettet an Mary und die Manufaktur, an hundert Clubs und tausend totenfahle Traditionen.
    Auf einmal spürte er, wie in seinem Innern etwas aufflackerte, ein Vorgefühl, ein Flämmchen der Angst vielleicht, das gleich wieder zusammensank. Minutenlang lauschte er in sich hinein, erschrocken, mehr noch erwartungsvoll, doch das Gefühl blieb unbestimmt, ein unstetes Glühen am Grund seiner Seele.
    Immer lauter schienen die Glocken zu dröhnen, der Schall brauste über den Hafen bis herüber zum Fort George, in dessen mächtigem Schatten Molton House lag. Robert warf seine Decke zurück und setzte sich auf. Natürlich würde Mrs. Molton erwarten, daß er sie wie an jedem Sonntag zum Gottesdienst begleitete, um an ihrer Seite dem Sermon von Hochwürden Christopher Seed zu lauschen. Und zweifellos würde er, wie an jedem Sonntag, ihrem Wunsch entsprechen, der eher einem Befehl glich, einem übernatürlichen Gebot. Das Pochen hinter seiner Stirn schwoll an, zu schmerzvollem Klopfen, und nicht zum ersten Mal fragte er sich, warum er sich ausgerechnet im Haus einer Lady einquartiert hatte, die haargenau so kalt und frömmlerisch wie seine Mutter war.
    Draußen im Flur hörte er das Rauschen des Promenadenkleides von Mrs. Molton, deren Schleppe mehrmals wie zufällig gegen seine Tür schlug. Er konnte förmlich spüren, wie ihr Zorn auf ihn von Minute zu Minute wuchs. Seit einer Woche war er der einzige zahlende Gast in der kleinen Pension, die aus vier Zimmern inmitten des geräumigen Haushalts bestand. Die Pensionsgäste frühstückten mit der Lady am selben Tisch und waren eingeladen, auch die Abende mit ihr im Salon zu verbringen, bei dünnem Tee
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