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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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nötigsten Zeichenutensilien, schlenderte Robert am Kai von Fort George entlang. Der neue Panamahut, den er noch an Bord der Brigantine Prince Albert erstanden hatte, bot enttäuschend wenig Schutz vor der Hitze der Karibik, die selbst hier, an der offenen Seeseite, niederdrückend war. Zu seiner Linken bemerkte er das blendend weiße Dampfschiff, das, weit draußen auf dem Meer noch, kegelförmige Wolken in den Himmel stieß. Die Trade Winds, dachte er, von New Orleans kommend, mit Dutzenden neuer Siedler, die in der Wildnis von Orange Walk, im Westen des Landes, ihr Glück versuchen wollten. Der Gedanke gab ihm einen Stich, doch nicht nur deshalb vermied er es, den Kopf zu wenden und hinaus aufs Meer zu sehen. Der steife, viel zu enge Hemdkragen scheuerte an seinem Hals. Miss Milly, das schwarze Hausmädchen in Molton House, pflegte die Wäsche der Pensionsgäste so gewaltsam zu stärken, daß sich frische Hemden mit leisem Krachen entfalteten, ein Geräusch, als zerbreche man Pappmaché.
    Mechanisch versuchte er, sich Linderung zu verschaffen, indem er mit einem Finger unter den Kragen fuhr. Zwei Uhr nachmittags mußte vorbeisein, doch bis die Abenddämmerung ein wenig Kühle bringen würde, waren noch Stunden zu überstehen. Und dann? Er stieß einen Seufzer aus. Dann würde er sich unfehlbar wieder in die Mahogany Bar begeben und seinen Durst und seine Selbstbezichtigungen so lange mit Krügen voller Rum beschwichtigen, bis er die Hilfe eines Kutschers benötigte, der ihn tief in der Nacht die steile Holztreppe von Molton House mehr hinauftragen als geleiten würde. Aber nicht mehr lange, dann breche ich auf, dachte Robert und war sich längst nicht mehr so sicher wie vorhin in seinem Zimmer, vor dem Bildnis Ihrer Majestät.
    Nun, vorläufig wollte er sich, wie an jedem Nachmittag, in den Park von Government House verfügen, wo Palmen und Bougainvillea-Büsche ein wenig Schatten spendeten. Dort würde er ein weiteres Seestück zeichnen, abermals die malerische weiße Holzvilla des Gouverneurs skizzieren oder die mäßig beeindruckende St. John's Cathedral gegenüber, die im ersten Viertel des Jahrhunderts mit eigens aus Großbritannien herbeigeschafften Ziegeln in gotischem Stil errichtet worden war - bis zum heutigen Tag, dachte er mit unbestimmtem Ingrimm, das einzige steinerne Gebäude in der gesamten Kolonie.
    Doch an diesem Samstag, dem 27. Juli 1878, sollte Robert Thompson nicht bis zum Park von Government House gelangen. Zehn Schritte vor ihm, mitten auf der Hafenstraße, bemerkte er auf einmal eine schlanke, hochgewachsene Mayafrau. Die junge India mochte Mitte Zwanzig sein, vielleicht fünf Jahre jünger als er, und so kunstvoll sie ihre Haare zu einer Art Vogelnest geflochten trug, so nachlässig war sie gekleidet, mit einem weißen, nur an den Säumen verzierten Umhang, der ihre kakaobraunen Schultern ebenso wie die kräftigen Unterschenkel unbedeckt ließ.
    Ohne es recht zu bemerken, hatte Robert seinen Schritt beschleunigt. Die Straße war ungepflastert und mit Schlaglöchern übersät, die mit dem glitzernden Schweiß aller Einwohner dieses elenden Fleckens gefüllt schienen. Rechter Hand erstreckte sich die von Kreolen, Maya und Schwarzen bewohnte Siedlung, Belize Town, ein Durcheinander dürftiger Holzhütten, die sich auf drei Fuß hohen Pfählen aus dem sumpfigen Untergrund erhoben. Aus dem Wirrwarr der Hütten und mit Unrat bedeckten Gäßchen drangen tausendstimmiges Summen und Schreien, vermengt mit Schwaden würziger und fauliger Gerüche, deren Herkunft ihm so unheimlich wie unbegreiflich schien. Je weiter sie gen Süden gingen, desto belebter wurde die Straße. Immer wieder mußte er streunenden Hunden ausweichen, Horden von Kindern, die nackt durch den Schlamm sprangen, oder sogar Rudeln schwarzer Schweine, die sich mit gebieterischem Grunzen ihren Weg bahnten, Gott allein mochte wissen wohin. Aber die Mayafrau in ihrem schlichten weißen Umhang verlor er nicht einen Moment lang aus dem Blick.
    Auf einmal glitt die junge Frau mit einem Fuß in ein Schlagloch, aus dem das Schlammwasser nur so hervorgischtete. Robert war mittlerweile so dicht hinter ihr, daß einige Schlammtropfen auf seine Hosenbeine spritzten. Unvermittelt blieb er stehen, während die India ruhig weiterging. Er glaubte vor Hitze zu platzen, mit zwei Fingern fuhr er sich unter den Kragen, so ungestüm, daß der Kragenknopf abgesprengt wurde und vor seinen Füßen in der Bracke versank.
    Eine Kutsche ratterte vorbei,
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