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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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Himmels willen war dann geschehen? Wohin war die junge Mayafrau davongelaufen? Von der Bildfläche verschwunden war sie zweifellos. Denn so benommen er sich auch fühlte, war er sich doch sicher, daß sie die Nähe von Mr. Climpsey und seinem bulligen Gefährten Stephen Mortimer meiden würde.
    Minutenlang hatte sich Paul Climpsey an dem verbeulten und besudelten Panamahut zu schaffen gemacht, nun reichte er ihn Robert mit einer kleinen Verbeugung zurück. »Dort vorne lagen Sie, Mr. Thompson«, sagte er und deutete mitten auf die Straße, wo ein gewaltiges Schlagloch, gefüllt mit braunem Wasser, im Abendlicht funkelte. Eben sprang eine Horde nackter Kinder hinein, so daß die Bracke fünf Fuß hoch spritzte. »Seitlich zu Boden gestreckt«, fuhr Climpsey fort, »und Ihr rechter Arm hing bis zum Ellbogen in jenem Schlammloch, als ob Sie... Verzeihung...« Ein Lachanfall schüttelte seine Gestalt, die fleischlos schien, zugleich überbeweglich wie der Körper eines wilden Tieres, gehüllt in schlotternd weiten, sonnengebleichten Tweed. »Bitte um Vergebung, aber es sah in der Tat... nun, es wirkte...« Er machte eine um Nachsicht heischende Grimasse, wandte sich um und starrte aufs Meer hinaus. Seine Schultern bebten.
    »Aber wie unhöflich, Paul«, tadelte Mortimer seinen Gefährten. »Betrunken oder nicht - es war eben eine Unpäßlichkeit, zum Donner, wie sie jedem widerfahren kann.«
    Robert sah nur kurz in Mortimers rundes Gesicht, über dem sich schüttere fahlgelbe Haarbüschel himmelwärts sträubten, und senkte gleich wieder den Blick. Der harte Ausdruck seiner wasserblauen Augen strafte Mortimers mitfühlende Worte Lügen. Auch den Panamahut hatte Robert nur kurz angesehen, dann angeekelt auf die Mauer neben sich gelegt. Paul Climpsey hatte gar nicht ernsthaft versucht, seinen Hut zu säubern, sondern ihn nur ärger zerdrückt und den Unrat, mit dem er besudelt war, auf widerliche Art bis unter das Schweißband verschmiert. Plötzlich empfand Robert Abscheu vor diesen falschen Freunden, die sich auf seine Kosten belustigten und offenbar die niedrigste Meinung von ihm hegten. Wie sehr er es jetzt bereute, daß er sich jemals mit ihnen eingelassen und, die Wahrheit zu sagen, seit seiner Ankunft jeden einzelnen Abend in der Mahogany Bar mit ihnen gezecht hatte - gezecht und von sagenhaften Mayaschätzen phantasiert, die er bald schon im unzugänglichsten Dschungel aufspüren werde. Am liebsten wäre er einfach aufgestanden und davongegangen, d ie beiden Halunken ihrer Gemeinheit überlassend, aber seine Knie fühlten sich noch immer weich an. Außerdem mußte er in Erfahrung bringen, was ihm überhaupt widerfahren war, in den Minuten seiner Ab sence, und da er nicht hoffen durfte, daß die beiden ihm geradeheraus die Wahrheit erzählen wurden, mußte er eben versuchen, sie ihnen auf andere Weise zu entlocken.
    Aber während er sich diesen Plan zurechtlegte, machte er eine Entdeckung, die ihn so sehr entsetzte, daß er die Augen aufriß. Mortimer stand noch immer vor ihm, breitbeinig, die Hände in den Taschen seines karierten Jacketts. Starr blickte Robert auf den glitzernden Punkt, der sich unter Stephen Mortimers Adamsapfel abzeichnete, ein Oval aus Perlmutt, in Gold gefaßt, zweifellos genau der väterliche Knopf, der vorhin von seinem eigenen Kragen gesprungen war. Das kann ja nicht sein, dachte er, erschrocken weniger über die Unehrlichkeit der beiden Trinkkumpane als über den Abgrund, der sich in seinem Innern auftat. Das Gäßchen zwischen den Hütten, dachte er, die Mayafrau, wie sie sich über ihn beugte - sollte er das wirklich alles nur geträumt haben?
    Wieder und wieder klatschte die Brandung an die Kaimauer unter ihm, die bei jedem Stoß leise vibrierte. Für einen Moment mußte Robert die Augen schließen, von Schwindelgefühl erfaßt. Als er sie wieder öffnete, nestelte Mortimer eben an seinem Kragen, halb von ihm abgewandt. Nun drehte er sich wieder um, mit einem aufmunternden Lächeln für Robert, und anstelle des perlmutternen Schmuckstücks prangte an seinem Kragen ein einfacher Knopf aus weißem Schildpatt.
    »Der Abend dämmert«, sagte Paul Climpsey. Die Enden seines fuchsroten Schnurrbartes zuckten. »Laßt uns in Ehren einen Krug Rum leeren, Gentlemen. Darin steckt mehr Wahrheit als in allen Schlammlöchern von Yucatan.«

5
     
     
    Die Mahogany Bar befand sich in der massiven Außenmauer von Fort George, in einem Gewölbe zehn Fuß unter der Erde. Von Climpsey und Mortimer an den
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