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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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gezogen von einem schmutzverkrusteten Maultier. Ein hünenhafter Schwarzer folgte dem Karren, in bunte Lumpen gehüllt, auf dem Kopf einen fleckig weißen Zylinder, der auf halber Höhe von Kugeln durchlöchert war. Zögernd sah Robert auf das Schlammloch hinunter. Der Knopf war aus goldgefaßtem Perlmutt, ein Familienstück, seit Generationen in der väterlichen Linie vererbt. Er beugte den Oberkörper vor, als wollte er sich bücken und mit einem Arm in den Tümpel fahren. Aber dann richtete er sich wieder auf, mit benommenem Lächeln, und ging weiter.
    Die Mayafrau war ihm schon zwanzig Schritte voraus, doch sie ging nun langsam und blickte nach links und rechts, und auf einmal war ihm, als habe sie sich über die Schulter zu ihm umgesehen. Eine betäubende Geruchswoge drang aus der Gasse zu seiner Rechten, schwer und süßlich wie gegorener Kakao. Von kakaobrauner Farbe waren auch ihre kräftigen Waden, auf denen sein Blick wie festgeschmiedet haftete, schokoladenbraun und bis zu den Kniekehlen mit Schlamm bespritzt. Das Meer zu seiner Linken gleißte wie eine zweite, türkisfarbene Sonne, und wieder und wieder, mit hypnotischem Gleichmaß, klatschte die Brandung gegen den Kai. Auf einmal glaubte er zu wissen, was er von ihr wollte, warum er hinter ihr herlief durch Schmutz und Hitze, ja auf einmal schien ihm, als verstehe er nun endlich, warum er überhaupt hierhergekommen war, weshalb er seine Wohnung am Londoner Charles Square, seine glänzende Laufbahn und selbst Mary, seine Verlobte, Hals über Kopf verlassen hatte, um sich mit der Zielstrebigkeit eines Schlafwandlers in die immerwährende Schwüle der Karibik zu begeben. Robert umklammerte seine Schultertasche und lief mit wehendem Kragen hinter der India her. Sein Herz klopfte. Ich werde sie zeichnen, dachte er, in ihrer Hütte oder wo immer sie will.

3
     
     
    Aufs neue sah sich die Mayafrau nach ihm um, herausfordernd, wie ihm nun schien. Flüchtig wurde Robert bewußt, daß er einen mehr als lächerlichen Anblick bieten mußte: ein hagerer, hochgewachsener Mann mit bespritzten Hosen und aufgesprengtem Kragen, der mit der Linken seinen Hut auf den Kopf drückte, während er in brütender Hitze durch Schlamm und Unrat sprang. Doch die India sah ihn nur einen Moment lang ernst, beinahe finster an, dann wandte sie sich um und verschwand im Halbdunkel eines Gäßchens, das in die Siedlung der Landlosen und freigelassenen Sklaven führte. Ohne sich zu besinnen, lief Robert hinter ihr her.
    Das Gäßchen war kaum zwei Schritte breit, dicht an dicht gesäumt von Hütten, ein sumpfiger Erdpfad, hier und dort bedeckt mit Bohlen, die vor Nässe schwärzlich glänzten. Betäubender Gestank nach Kot und Fäulnis quoll aus dem Untergrund, aus allen Ritzen der Behausungen, so daß Robert kaum zu atmen wagte. Ein Alptraum, dachte er und wußte doch, daß es die Wirklichkeit der Elenden und Verdammten war.
    Den rechten Unterarm vor Mund und Nase gepreßt, eilte er auf glitschigem Grund dahin. Weit voraus sah er den Umhang der jungen Mayafrau, im Halbdunkel leuchtend, und jetzt erst kam ihm der Gedanke, daß es womöglich eine Falle war. Mehr als einmal war er gewarnt worden. Dutzende Greuelgeschichten hatte er in der Mahogany Bar gehört. In jeder von ihnen waren arglose Gentlemen im Gewirr der Elendshütten überwältigt und ausgeraubt worden, von skrupellosen Garifuna, den Nachkommen der afrikanischen Sklaven, oder von verbitterten Maya, die sich noch immer für rechtmäßige Herren über Yucatán, Guatemala und Honduras hielten und infolgedessen jeden Briten oder Spanier als Feind ansahen.
    Robert blieb stehen. Auf einmal war ihm, als ob er beobachtet würde, durch Ritzen in den grob gefügten Wänden oder im Dunkel der Türlöcher, die über Stegen und Leitern klafften. Kaum wagte er es, über die Schulter nach hinten zu sehen, doch als er sich endlich umwandte, den Arm noch immer vor Mund und Nase erhoben, da zeigte sich, daß niemand ihm nachgeschlichen war, niemand ihm den Rückweg versperrte, nur ein einzelnes Huhn stand starr und schwarz am Eingang der Gasse, den Kopf emporgereckt.
    Langsam ließ Robert seinen Arm sinken. Der Gestank war so betäubend wie zuvor, die Luft kochend und erfüllt von Verwesungssüße, doch plötzlich befürchtete er, die Bewohner dieser Kloake zu erzürnen, wenn er offen zeigte, wie wenig er ihre Ausdünstungen ertrug. Abermals wandte er sich um. Von der Mayafrau war nichts mehr zu sehen, leer lag die Gasse vor ihm, soweit dies im
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