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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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Sonne gesucht hatten. Die Wachsoldaten wie auch die Verwaltungsbeamten des Gouverneurs hatten sich längst an den Anblick des Zeichners gewöhnt, der seit Wochen beinahe jeden Nachmittag in ihrem Park verbrachte.
    Wenige Schritte, nachdem er das Wachhäuschen passiert hatte, verließ Robert den Hauptweg und ging linker Hand quer über den Rasen, auf die Zwillingspalme zu. Auf einmal meldete sich wieder jenes unbestimmte Gefühl - Angst, dachte er, oder bange Erwartung. Aber Erwartung wessen oder Angst wovor?
    Als er die drei Gestalten sah, die hinter der Doppelpalme auf dem Rasen hockten, umfaßte er den Riemen seiner Schultertasche und verlangsamte seinen Schritt. Es waren drei Männer, wie er nun erkannte, dunkelhäutig, in der einfachen weißen Tracht der Maya.
    Erst als er seine Enttäuschung spürte, wurde ihm klar, wie sehr er darauf brannte, sich zu vergewissern, ob seine Einbildung ihn abermals gefoppt hatte. Aber solange die drei Männer dort auf dem Rasen hockten, aufgereiht auf dem länglichen Schattenfleck hinter der Doppelpalme, konnte er unmöglich feststellen, ob der Schattenriß tatsächlich die Umrisse jener India trug. Und noch viel weniger konnte er die Szene aufs neue zeichnen, solange diese stämmigen Mayamänner dort im Gras kauerten, reglos wie Steinskulpturen.
    Er machte einige weitere Schritte und nickte ihnen zu, ohne irgendeine Reaktion hervorzurufen. Was suchten sie überhaupt hier, im Garten des britischen Gouverneurs? Wieder spürte Robert jenes leise innere Schwanken, als ob unter seinen Füßen der Boden wankte oder vielleicht eher der Grund seiner Seele. Für einen Moment mußte er abermals an Grimaldi denken, an sein erschütterndes Zusammentreffen mit dem Magnetiseur. Er schloß die Augen und öffnete sie gleich wieder, doch die drei braunen Männer hockten immer noch in genau derselben Haltung auf dem Rasen wie zuvor. Natürlich, dachte er, was auch sonst? Aber worauf auch immer sie dort warten mochten, er würde sie aus dem Schatten verscheuchen, ohne irgendeine Erklärung, ohne viele Worte, die sie sowieso nicht verstehen würden. Schließlich war er ein britischer Bürger, und auf seiner Seite war das Recht.
    Unter diesen Gedanken war er stehengeblieben, in einer Entfernung von drei oder vier Schritten, den Blick noch immer auf die drei gerichtet. Wie auf einem imaginären Baumstamm hockten sie nebeneinander, die Beine angezogen, so daß ihre Knie unter den weißen Tuniken hervorsahen, und jetzt erst wurde Robert bewußt, daß der mittlere der drei uralt sein mußte. Sein Gesicht war mit Runzeln bedeckt, sein Körper zusammengesunken, das Haar fast schulterlang, aber schütter und weiß wie Schnee. Robert starrte ihn an und dachte, daß er noch niemals einen so alten Menschen gesehen hatte, der Mann mußte hundert Jahre alt sein, nein, noch weitaus älter. Unbewegt erwiderte der Greis seinen Blick, und schließlich war es Robert, der als erster die Lider senkte. Die beiden anderen Mayamänner waren viel jünger, der eine kaum älter als er selbst, der andere fast noch ein Knabe, höchstens siebzehn, mit glatter Haut. Das schwankende Gefühl in seinem Innern wurde stärker, als gehe er im Traum über einen Boden, der unablässig erbebte.
    Er wandte sich ab und ging an dem reglosen Trio vorbei, auf die Schattenrisse der beiden Kanonen zu, die starr auf das Meer hinauswiesen. Wahrscheinlich hatte dem uralten Mann d ie stechende Sonne zu schaffen gemacht, dachte er, das mochte auch erklären, warum die Wachsoldaten den drei Maya überhaupt Zutritt zum Gouverneursgelände gewährt hatten, aus Mitleid, dachte Robert, aus Respekt vor dem hohen Alter des Greises. Er würde sic h also gedulden, beschloß er, worauf immer sie dort im Schatten warten mochten, es konnte nicht ewig dauern, und anschließend könnte er sich in aller Ruhe vergewissern, was es mit dem Schattenfleck auf sich hatte.
    Während er diese beruhigenden Vorsätze in seinem Innern memorierte, fühlte Robert im Gegenteil, wie seine Unruhe stieg.
    Er trat neben die linke Kanone, streifte die Tasche von seiner Schulter und ließ sie zu Boden gleiten, zog seine Jacke aus und warf sie achtlos ins Gras. Der Schweiß rann ihm über Schläfen und Nacken hinab. Wieder flackerte jene unbestimmte Erwartung in ihm auf, eine Flamme auf einmal, in ihm emporlodernd, bis in seine Stirn hinaufschießend, so daß sich die See vor seinen Augen für einen Moment rot verfärbte.
    Auf einmal vernahm er eine leise Stimme, keine zwei Schritte
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