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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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Lehmplatz ging, horchte sie in sich hinein, aber sie fand in ihrem Innern keine Vorahnung, kein banges Vorgefühl, sie hatte auch nie wirklich an derlei geglaubt. Es war einfach so, daß sie ihr Glück gefunden und längst begonnen hatte, ihr gemeinsames Leben zu planen, als Mr. und Mrs. Thompson. Roberts Rückenverletzung war ebenso geheilt wie die Wunde an ihrem Fuß. Nicht mehr lange, dachte Helen, dann würden sie nach Fort George zurückkehren und den Gouverneur persönlich davon überzeugen, daß die gegen Mr. Thompson erhobenen Vorwürfe gegenstandslos seien. Sie selbst würde mit James Sutherland ihren Frieden machen, ebenso mit Mama Doro, und wenn Mr. Sutherland dies wirklich wünschte, zur Linderung seiner Gewissensqualen, würde sie sogar einwilligen, daß er sie zu seiner rechtmäßigen Tochter und Erbin erklärte. Warum sollte es seinen Ruf ruinieren, wenn er sich zu einer Tochter bekannte, die mit dem Sohn eines angesehenen Londoner Fabrikanten verehelicht war?
    Alles wird gut, dachte Helen, wenn wir nur wachsam bleiben.

7
     
     
    Die Sonne stand schon tief über dem Wald, als Robert den Jadepinsel sinken ließ und sich mit bunt bekleckster Faust über die Stirn rieb. Sein rechtes Handgelenk fühlte sich taub an, jeder Muskel in seinem Arm, seinen Schultern brannte. Auch der klopfende Schmerz in seinem Nacken hatte sich in den letzten Tagen verstärkt, wie die Schläge einer Uhr, die lauter und lauter wurden. Drei Tage lang hatte er von früh bis spät gearbeitet, von einem bildnerischen Drang besessen wie niemals mehr seit seinen Jugendjahren. Doch nun war der letzte Pinselstrich getan, jeder weitere Tupfer würde das Kunstwerk nicht verbessern, sondern seine Vollkommenheit verderben.
    Es hatte wohl wahrhaftig etwas Eigenes mit dem Jadepinsel auf sich, dachte er, indem er einige Schritte zurücktrat, aus dem Schatten der Ceiba hinaus, um das Gemälde aus größerer Entfernung anzusehen. Zeitweise war der kühle grüne Stift mit dem biegsamen Jaguarbusch über die Leinwand gejagt, als ob ihm eine magische Kraft innewohnte und er selbst nur das Instrument eines übermächtigen Willens wäre. Und doch hatte er mit dem Jadepinsel nicht etwa die versunkene Welt der alten Maya auferweckt, wie es laut Ja'much prophezeit worden war. Mit fiebrigen Strichen und in leuchtenden Farben hatte er vielmehr eine Szene auf die Leinwand gebannt, die ihm immer deutlicher als Sinnbild seines eigenen Lebens erschien.
    Hätte ich nur damals, dachte er, im Park des Gouverneurs schon erkannt, wie tiefsinnig dort alles angeordnet war, ein romantisches Bühnenbild, bestückt mit Allegorien und Symbolen, aus denen ich alles Künftige hätte herauslesen können: meine Aufgabe, mein Versagen, Furcht und Schrecken, Leid und Kummer und selbst das hinter allem schon schimmernde Glück.
    Sein Blick haftete auf dem Gemälde, dessen Farben hier und dort noch feucht in der Nachmittagssonne glänzten. Es zeigte den Park von White House, wie er an jenem schicksalhaften Sonntag im Juli ausgesehen hatte, als Robert Thompson aus einer Laune heraus beschloß, nicht mit Mrs. Molton in die Kathedrale zu treten, sondern über die Straße zu gehen, in den morgendlichen Park, um seine Zeichnung zu erneuern, die ihm nachts in der Mahogany Bar durch Asche und Rum verdorben worden war.
    Nicht die kleinste Einzelheit hatte er auf dem Gemälde ausgelassen oder abgeändert, alles war genauso wiedergegeben, wie es in sein Gedächtnis eingemeißelt war. Rechter Hand die weiß lackierte Holzvilla des Gouverneurs und dahinter, im Morgenlicht jadegrün glitzernd, die karibische See. Der Samtglanz des britischen Rasens, umrahmt von Bougainvillea-Hecken, und darauf verstreut zwei Dutzend schlanker Palmen, die sich zur Kathedrale hin zu verbeugen schienen. Der gesandete Pfad, der den Park säumte (Wochen zuvor war er dort mit Miss Harmess zusammengestoßen), fehlte sowenig wie der breitere, rot geschotterte Weg von der bewachten Straßenpforte zum Gestade, wo zwei rostige Kanonen den leeren Horizont bedrohten.
    Und dort, zwischen den Kanonen, stand er: Robert Thompson, im schwarzen Kirchenanzug, bleich und schlecht rasiert. Neben ihm eine kleinere Gestalt, schlank, anmutig, mit rotschwarzem Kopftuch, ebensolchem Hemd und anliegenden Burschenhosen. Sie beide im Profil, einander zugewandt, Helen mit scheuem Lächeln, während er mit unverzeihlicher Zerstreutheit an ihr vorbeizusehen schien.
    Genauso war es, dachte Robert, so und nicht anders. Er hätte es nicht
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