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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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Pflanzensäften hatten die Heilerinnen ein Dutzend öliger Farben in tönernen Tiegeln bereitet, und seither saß Robert von früh bis spät im Schatten der Ceiba, und der Jadepinsel jagte über die Leinwand und zauberte eine ganze leuchtende Welt hervor.
    »Du solltest mit uns nach unten kommen, Robert«, sagte Helen zum zweiten Mal. »Warum willst du dich nicht in der Höhle verstecken, bewacht von Ajkech und Mabo, bis die Gefahr vorbei ist?«
    »Weil ich dieses Bild malen muß, Liebes - unser Bild. Und weil ich mich lange genug versteckt habe, in wirklichen Kellern und phantasierten Höhlen.«
    Je beredter Helen ihm das Erdloch anzupreisen versuchte, desto heftiger sträubte er sich gegen diesen schaurigen Zufluchtsort. Die Höhle befand sich zweihundert Schritte tief im Wald, und nach Mabos Beschreibung handelte es sich eher um eine Grotte, feucht und schleimig wie das Getier, das in ihren Tiefen zu Tausenden hausen mochte.
    Er lächelte Helen an, sie sah zauberhaft aus mit ihrem so einfachen wie kleidsamen Gewand und den nachtschwarzen, lose aufgesteckten Haaren. Helen stand nahe der Treppe, die an der Seite des Tempels auf den First hinaufführte, zehn Schritte von ihm entfernt. Ihre Augen funkelten, ihre Lippen bebten ein wenig, vor Unwillen und vor Eifer, ihn zu ihrem Standpunkt zu bekehren. Einen Schritt hinter ihr kauerten Mabo und Ajkech am Boden, mit wachsamen Mienen. Der Mestize hatte sogar seinen schwarzen Dolch gezückt und wog ihn in der Hand, als rechnete er damit, daß die Häscher im nächsten Augenblick aus dem Buschwerk brächen und ihre Gewehre auf Robert Thompson abfeuerten.
    »Hier oben ist es sicherer als in jedem Erdloch.« Ihm graute tatsächlich bei dem Gedanken, in eine feuchte, dunkle Grotte zu kriechen, aber noch weniger hätte er es ertragen, die Arbeit an seinem Gemälde zu unterbrechen. »Dieser Tempel ist wie eine Festung«, sagte er und hoffte, daß sie es dabei bewenden lassen würde. »Mabo und Ajkech sollen abwechselnd die Treppe bewachen, dann kann niemand ungesehen hier herauf.«
    Damit wandte er sich wieder seiner Staffelei zu, tupfte Wolkenschwarz in den strahlend blauen Leinwandhimmel und schien bereits vergessen zu haben, daß es eine Welt außerhalb seines Gemäldes gab.
    Doch unglücklicherweise, dachte Helen, war es eine rachsüchtige, übelwollende Welt, die nur darauf lauerte, daß sie in ihrer Wachsamkeit erlahmten. In den letzten Tagen waren wieder ein halbes Dutzend Verwundete aus Kantunmak eingetroffen, und sie alle hatten die gleiche Schreckensnachricht verkündet: Zwei weiße Soldaten streiften mit einem Kanu durch die Wäßrige Erde, geleitet von einem Indiojungen, der gelobt hatte, sie zu dem Ort zu führen, an dem sich Robert Thompson versteckt hielt. Deshalb hatte Mabo schon vor drei Tagen immer wieder versucht, sie in ihrer Hütte aufzustören, doch in ihrer leidenschaftlichen Verliebtheit hatten sie nicht auf ihn gehört. Es war eine Unachtsamkeit, die sie sich kein zweites Mal leisten durften, sagte sich Helen, denn mit den Augen eines Dickie Chillhood betrachtet war romantischer Überschwang nichts anderes als eine tödliche Blöße.
    Noch war es kaum mehr als ein Gerücht, daß die beiden Sergeants das morastige Rinnsal gefunden hatten, das sich vom Alten Fluß durch die Weiten der Wäßrigen Erde bis Ixt'u'ulchac wand. Aber das Gerücht enthielt zu viele Einzelheiten, die sie voller Schrecken wiedererkannte, um ein bloßes Spukgebilde zu sein, erschaffen aus der Einbildungskraft furchtsamer Seelen. Ein hagerer Soldat, schlaksig wie Bambus, berichteten die Krieger, und ein stämmiger, rotköpfig und mordlüstern wie ein Stier. Und ein Indiojunge, als Führer durch die Sümpfe gedungen, dessen linkes Bein nur noch ein handbreiter Stumpf sei, mit Brandwunden übersät.
    Chillhood und Muller, dachte Helen. Angetrieben von Mord-und Profitgier und geführt von einem jener unseligen Mayajungen, die am Stauwehr von Victoria Camp verstümmelt worden waren und vergeblich gehofft haben mochten, daß der wiedergekehrte Götterbote sie von ihrem Leiden erlöste.
    Aber vielleicht hat Robert ja dennoch recht, sagte sie sich dann, indem sie Mabo und Ajkech zunickte und sich anschickte, wieder nach unten zu gehen. Das Tempeldach war tatsächlich wie eine Festung, die sich nur über die Treppe erstürmen ließ, und gewiß würden Mabo und Ajkech ihren Blick nicht von der Treppe wenden, solange ihr Herr sich auf dem Tempeldach befand.
    Noch als sie unten über den
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