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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes
Autoren: Andreas Gößling
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Augenblicke, während die Vögel immer lauter, immer mißtönender kreischten und die beiden Sergeants mit ihren Geiseln hintereinander auf den Tempelfirst traten. Er mußte ihnen klarmachen, dachte er, daß er sich ergab und freiwillig mit ihnen kam, dann würden sie Helen nichts antun. Aber solange die Vögel kreischten und pfiffen, konnte er sich unmöglich mit den Soldaten verständigen, nicht mit Worten jedenfalls, und so setzte er lediglich ein beschwichtigendes Lächeln auf und hob beide Hände bis zu seinen Schultern empor, zum Zeichen, daß er keinen Widerstand leisten würde.
    Sergeant Chillhood fletschte die Zähne, er fuchtelte mit seinem Trommelrevolver und rief Robert etwas zu. Aber seine Worte waren nicht zu verstehen, das Kreischen der Vögel füllte alles aus, den ganzen Wald, die ganze Welt, wie die Vögel selbst den ganzen Himmel auszufüllen schienen, zu Tausenden, Zehntausenden unier dem feuerfarbenen Gewölbe schwärmend.
    Robert nickte dem Sergeant zu, beruhigend, wie er hoffte, damit der Mann sich geduldete, bis das Crescendo der Wildnis wieder abgeebbt wäre. Aber Chillhood schien mit seiner Geduld oder seinen Nerven längst am Ende, jedenfalls löste er auf einmal seinen Arm von Helens Hals und stieß sie mit solcher Gewalt von sich, daß sie durch die Luft geschleudert wurde und drei Schritte vor Robert mit furchtbarer Wucht zu Boden schlug.
    Wie versteinert stand er vor ihr, die bäuchlings auf dem mit Schlamm und Moos überzogenen Ruinendach lag, ein Bein angewinkelt, als ob sie zu kriechen versuchte, zwischen Steinbrocken und verkrüppeltem Buschwerk, unter dem feuerfarbenen Himmel, eingewickelt in die Schreie der Vögel, wie er selbst, wie sie alle, die ganze Wildnis, wie auch Sergeant Chillhood, der sich nun rechter Hand an ihm vorbeischob und hinter ihn trat.
    Robert wandte den Kopf und sah über die Schulter zurück zu dem vierschrötigen Soldaten, der in sicherer Distanz hinter ihm stand, den Revolver auf seinen Nacken gerichtet, wo der Schmerz flatterte und hackte wie eine Fledermaus. »Töten Sie mich!« schrie Robert, der sich niemals weniger nach dem Tod gesehnt hatte als in diesem Moment. »Erschießen Sie mich« schrie er, »aber schonen Sie meine Verlobte!«
    Der Soldat machte eine hämische Grimasse, und die Vögel pfiffen und kreischten so ohrenbetäubend, daß niemand von ihnen das Tappen von Schritten auf der Treppe hörte.
    Erst das jähe Erschrecken in Chillhoods Gesicht verriet Robert, daß Muller in Schwierigkeiten sein mußte. Rasch sah er wieder nach vorn, doch da lag der schlaksige Sergeant bereits am Boden, eine Wange in den Schlamm gepreßt, zwischen seinen Schultern Mabos gezähnter Dolch. Während er noch auf den Toten starrte, dessen Augen himmelwärts verdreht waren, versetzte ihm Chillhood einen heftigen Stoß in den Rücken, so daß er zu Boden stürzte. Im gleichen Mome nt begann der Sergeant, wahllos Schüsse abzufeuern.
    Er ist in Panik, dachte Robert, kein Wunder, das Kreischen der Vögel war wie ein nach außen gestülpter Irrsinn, der alle Dschungelbewohner allabendlich befiel. Chillhood schien zu glauben, daß er von Feinden umzingelt war, daß ringsum hinter Steinbrocken, im Buschwerk, sogar in der Ceiba seine Widersacher lauerten, und so feuerte er seinen Revolver leer, lud nach und feuerte weiter, indem er sich um sich selbst drehte und unhörbare Schreie ausstieß. Robert lag der Länge nach auf dem Tempeldach, ohne sich zu regen, bäuchlings wie Helen, die ihn unverwandt ansah, aus weit geöffneten Augen, die ihm so groß und so schwarz wie Moorlöcher schienen. Die Kugeln sausten über den Tempelfirst, auch sie unhörbar im Kreischen der Vögel, sie zerfetzten die Leinwand, prallten von Trümmerbrocken ab, zischten über Mabo und Ajkech hinweg, die sich hinter Mullers Leichnam zu Boden geworfen hatten, und schlugen wieder und wieder im Stamm und im Astwerk der Ceiba ein.
    Auf einmal ertönte ein furchtbares Knirschen und Krachen, lauter selbst als das Kreischen der Vögel. Chillhood starrte nach oben, ebenso wie Helen und Robert, zum Wipfel des riesenhaften Baumes, aus dem Ixnaays Silberbarke pfeilschnell herniederschoß. Der Sergeant glotzte noch immer zu dem funkelnden Verhängnis empor, als Robert schon herumgefahren war und Chillhood regelrecht ansprang, mit aller Kraft und Gewalt, die er aufbringen konnte, und den Soldaten tatsächlich überrumpelte und zu Boden riß.
    Der Revolver war aus Chillhoods Hand geglitten, und Robert kniete auf
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