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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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ich seinen Nistplatz: ein aus Gras gebautes Nest, eingeschlossen von schwarzer Erde, in der Nähe des heruntergebrannten Trümmerhaufens, der früher einmal unsere Scheune gewesen war. Es wunderte mich, dass die Henne überlebt hatte, und ich dachte über den erstaunlichen Mutterinstinkt nach, der sie an ihr Nest gekettet hatte, während das Feuer um sie herum wütete. Hatte sie dieselbe entsetzliche Angst verspürt wie ich bei der Vorstellung, entweder bei ihrem eigen Fleisch und Blut zu bleiben oder es einfach im Stich zu lassen? Hatte sie genauso stark wie ich gezittert, als das Feuer sie einschloss? Jedes Mal, wenn ich die
Geschichte unserer spektakulären Flucht erzähle, verblasst meine eigene Angst ein wenig in meiner Erinnerung. Doch selbst jetzt, wenn mir der Geruch von Holzfeuer in die Nase steigt, werde ich hierher zurückversetzt, zu jener Todesangst, die ich ausgestanden habe, als ich fast alles zurückließ, was ich je gekannt hatte.

    Der Makler hatte eine Verkauft -Plakette über das Zu verkaufen -Schild am Ende der Auffahrt geklebt. Den neuen Eigentümern würde die Farm vom morgigen Tag an gehören - wobei wir alle wohl schon seit der Zerstörung meines Elternhauses jegliche Besitzansprüche aufgegeben hatten. Ohne das Haus wirkte der Hof nackt und sonderbar. Nichts als die Grundmauern waren übrig geblieben, und selbst die bröckelten ab und gaben den Blick auf die Steine frei, die John Weeks damals unklugerweise in den Beton gemischt hatte. Wahrscheinlich hatte er Geld sparen wollen. Ich fragte mich, wie das Fundament je das Gewicht des Hauses hatte tragen können. Umsäumt war es nun nicht mehr vom fein säuberlich gemähten Rasen meines Vaters, sondern von einem Feld, das mit blau blühendem Chicorée und goldenem Rainfarn überwuchert war. Mehrere Glasscheiben im Gewächshaus meiner Großmutter wiesen Sprünge auf oder waren vom Hagelschauer Anfang des Monats eingeschlagen worden.
    Ich parkte den Pick-up im Hof, und meine Mutter und ich saßen eine Weile einfach da und ließen den Blick über den Obstgarten schweifen. »Also gut«, sagte ich. »Sollen wir einen kleinen Spaziergang machen?«
    »Ich werde hier auf dich warten«, sagte meine Mutter. »Du kannst ruhig gehen.«
    »Das ist deine letzte Chance, dich von der Farm zu verabschieden. Die neuen Eigentümer wären vermutlich nicht
sonderlich begeistert, wenn wir auch in Zukunft über ihren Besitz latschen.«
    »Ich habe mit all dem hier abgeschlossen … glaube ich zumindest«, sagte sie. »Aber wirf bitte noch einen Blick ins Gewächshaus. Ich weiß nicht, ob Val daran gedacht hat, dort nach Dingen zu suchen, die wir behalten wollen.«
    Jeremy folgte mir ins Gewächshaus, trödelte dabei jedoch und riss die blauen Chicoréeblüten von ihren harten Stängeln. Einen Moment lang fürchtete ich mich regelrecht davor hineinzugehen, und als ich endlich den Mut aufbrachte, packte mich ein eisiges Déjà-vu-Erlebnis, obwohl ich schon unzählige Male in dem Gewächshaus gewesen war und es wie meine Westentasche kannte. Es gab nichts, das sich mitzunehmen lohnte.
    Jeremy kam herein und reichte mir eine Handvoll Blumen. »Vielen Dank, Liebling«, sagte ich.
    Er zeigte in eine Ecke. »Da ist ein toter Vogel.« Ein Junko hatte einen Weg herein-, aber nicht wieder hinausgefunden. Ein Vogel, der ins Haus fliegt, war ein Omen, ein Vorzeichen für einen Todesfall in der Familie. Was bedeutete jedoch ein toter Vogel in einem Gewächshaus? Wie dem auch sei, der Hof und das Gewächshaus gehörten uns ohnehin längst nicht mehr. Ich benutzte ein Stück vermodernde Zeitung, um den Vogel aufzuheben und ihn draußen unter einen Fliederbusch zu legen.
    Wenn dieser letzte Besuch in dem Zuhause meiner Kindheit ein Traum gewesen wäre, wie hätte ich ihn dann interpretiert? Eine wohlbekannte Landschaft, die mir auf einmal so fremd vorkam. Eine Tür, die zu öffnen mir Angst einjagte. Ein toter Vogel in einer Ecke. Aber keine Spur eines Geistes.
    Ich würde gerne glauben, dass Maud und John Weeks’ Seelen endlich ihren Frieden gefunden haben. Wenigstens sind
mir ihre Schritte nicht gefolgt, als ich an jenem Nachmittag über die Felder der Farm spazierte. Ich habe niemanden am Brunnen gesehen - obwohl ich es insgeheim befürchtet hatte. Im Gegenteil, es war nicht einmal mehr eine Spur vom Brunnen selbst zu sehen. Auf Vals Bitte hin hatte Jude das Gebüsch um den Brunnen abgeholzt und ihn aufgefüllt. Val hatte dann die Stelle mit Dads altem Traktor gepflügt und
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