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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein
Autoren: Clemens Meyer
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Zimmer gibt es auch noch. Bestimmt liegt es dort irgendwo im Regal. Ich habe mir ja vorgenommen, dass ich jetzt öfters hinfahre. Der Erste hat gut Geld gebracht heute, und da bin ich froh drüber. Für Januar-Verhältnisse. Und so ein Idiot war’s nun auch wieder nicht, hätte sich nur mal die Fingernägel schneiden können, und saubermachen sowieso. Weil ich finde, dass es nichts Schlimmeres gibt als Männer mit richtig Dreck unter den Nägeln. Klar sage ich: »Wasch mal die Pfötchen«, aber ich kann ihm ja kaum ’nen Spachtel geben. Gibt natürlich Schlimmeres. Blumenkohl zum Beispiel. Das geht auf keine Vorhaut, sagte Magda immer. Also die Schweinerei. Sabine war seltsam, die hat sich nie beschwert. Ich habe sie wirklich sehr sehr gemocht, aber sie war schon seltsam.
    Ich hab ja so ’ne Art Skala, dreckige Nägel und fauliger Atem ganz oben, nimmt sich aber alles nichts. Nicht viel. Und bei Atem gibt’s auch noch ’ne Unterskala. Wenn sie dich dann anjapsen, muss man sich so gekonnt wegdrehen, also den Kopf, dass es nicht unhöflich wirkt. Ich habe ’ne Flasche Mundwasser im Bad stehen, aber das ist eher selten, also nie, dass die mal einer benutzt. Na ja, selten. Natürlich sage ich, wenn sie für ’ne Stunde bleiben wollen, und auch so, dass sie vorher ’ne Dusche nehmen können. Beziehungsweise sollen. Und ich sag das so charmant, dass sie’s auch machen. Mach dich frisch für mich, Süßer, damit ich dich ablecken kann. Sind nicht alle so diplomatisch, das weiß ich. Vielleicht jetzt gerade, wegen Januar. Die große Depression. Aber für mich gelten die Januar-Regeln das ganze Jahr. Obwohl das so Zickenkram ist, von wegen »Ich kann’s besser« und so. Weiß ich eigentlich. Muss jede selbst wissen, wie sie’s anstellt. Ich bin die Beste, ich bin die Schärfste, na ja, bin ich auch, ich schau dir in die Augen …, aber schön duschen vorher. Die meisten Mädels wissen schon genau, wie’s geht. Denn wer zufrieden ist, kommt wieder. So einfach ist das manchmal. Oder eben schwierig. Wie man’s nimmt. Das mit diesen ganzen »mans« hat meine Freundin Sabine gesagt, wie die jetzt richtig hieß, hab ich grad vergessen, obwohl wir uns alle mit unseren richtigen Namen ansprechen, Jenny heißt ja wirklich Jenny, nur in der Annonce nennt sie sich »Lola«, ich finde das blöd, weil das glaubt doch keiner, aber sie sagt, dass sie ein großer Fan von Franka Potente ist, der Schauspielerin. Meinetwegen. »Jenny rennt«. Katrin, heißt sie, also Sabine. Ich wollte schon diese Kunstzeitschrift raussuchen, die ich hier irgendwo haben muss, wo was über die drinsteht. Sabine ist viel schöner als Katrin, also der Name, denn sie sind ja ein und dieselbe, und sie hat mir mal gesagt, dass sie sich auf dem Amt umbenennen will, also den Antrag darauf stellen, für den Ausweis, Künstlername sozusagen, das war noch bevor sie sich mit Fotos und Videos und Zeichnungen versuchte, aber sie hat auch schon damals immer gesagt: »Beruf: Liebeskünstlerin«. Das fand ich gut. Aber ich geh mit der ganzen Sache pragmatischer um, wie die meisten von uns. Aber Geld machen ist ja auch ’ne Art Kunst. (» Pragmatischer ? Quasi sozusagen? Hätteste mal weiterstudiert, Mädchen!« Magda im Gespräch mit Lilli, Februar 2003) Bisschen hat’s mich schon genervt, dass sie immer so getan hat, als wäre sie zig Jahre älter als ich, also Magda, große große Schwester, dabei war sie nur dreieinhalb vor mir, obwohl wir in der Annonce damals fast gleichaltrig waren. Hallo? Hallo? Der größte Baumarkt Deutschlands! Immer diese bescheuerte Werbung. In den Baumarkt geh ich ganz bestimmt nicht. Mit der Sabine, das habe ich verwechselt, die war nämlich ein oder zwei Jahre jünger als ich, also fast gleichaltrig.
    Und wenn Mutti vorgelesen hat, war doch ziemlich oft, hat sie immer nur diese Märchen genommen, die keiner kannte. Oder den Fischer mit seiner Frau. Das hat ihr Spaß gemacht, das auf Platt zu lesen, obwohl ich das meiste nicht verstanden hab, aber es klang wirklich schön. Eine ganz seltsame Melodie. Und Muttis Stimme war dann ganz anders. Als wäre sie selbst wieder ein Kind. Ich denke, dass Oma ihr das oft vorgelesen hat, oben in Bad Doberan. Da dampft die Molli fast an dem Haus vorbei, wo die Großeltern wohnen und wo Mutti auch aufgewachsen ist. Das ist eine kleine Dampfbahn, die Molli, Schmalspur, fährt bis zur Küste, bis zum Meer. Bei »Frau Trude« habe ich mich unter der Bettdecke versteckt. Und wenn die Molli mit diesem
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