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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein
Autoren: Clemens Meyer
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Mit der »Nacht« meint er mich. Auch wenn der Hauptteil meiner Arbeit am Tag ist. Das meint er nicht böse. Weil erstmal keiner mehr Geld hat im neuen Jahr, sagt er. Ist ein ganz Lieber. Hat vor der Wende in einer großen Druckerei hier in der Stadt gearbeitet. Erzählt er viel von. Mitte fünfzig. Und seit fast dreißig Jahren verheiratet. Und zwei Kinder. Erzählt er immer. Das tut gut. Das hör ich gern. Wobei ich das mit der Börse nicht so genau weiß. War nie meins und wird’s auch nie werden. Ich kenne paar Mädels, die haben auf sowas geschworen. Und die haben gekauft und verkauft und gezockt wie blöd. Ein richtiger kleiner Börsenverein. Aber doch die Ausnahme. War ich nicht mit drin, weil ich ja immer sage, nach der Arbeit will ich nichts mehr wissen von der Arbeit. Obwohl das natürlich nicht so einfach ist. Mit Magda war das anders, aber ich will da jetzt langsam weg von, dass ich immer von ihr erzähle und oft an sie denke. Weil das ist jetzt, wie’s ist, und es ist auch gut so, weil, und das hat meine Mutter immer gesagt, wenn es mal nicht lief und sie traurig war über irgendwas: »Die Dinge sind, wie die Dinge eben nunmal so sind.«
    Aber die ärgern sich sehr, denke ich, die Mädels, von denen ich weiß, dass sie ihr Geld an der Börse untergebracht haben. Wie viel, weiß ich nicht. Da gibt’s keine Versicherung, die dir irgendwas zurückzahlt. Ich habe eh keine Ahnung davon. Ich spiele Lotto. So blöd das klingt. Vor kurzem hat ein Bekannter von mir über dreißigtausend gewonnen. Ich kenne ihn nur über drei Ecken. Eher zwei. Aber nicht als Gast. Über Mandy, die arbeitet bei Hans. Und die kennt den Alten, der da so viel Geld gewonnen hat. Mit verkürzter Kombination. Fünfer. Hab ihn mal gesehen in Hans seiner Buchte. Obwohl, »Buchte« ist unfair. Denn bei dem ist alles sauber. Klein, aber fein. Wirklich sauber. Was das Drumherum betrifft. Sicher nicht das Gelbe von den Eiern (Magda!), aber ich habe nur Gutes drüber gehört. Prozentual. Auch wenn ich sage, dass ich nach der Arbeit meine Ruhe haben will, kommt es doch immer zu dir. Also der Tratsch. Denn natürlich kann ich nicht einfach sagen: Ich bin dann mal weg. Das Buch von dem Kerkeling habe ich gelesen. War ganz witzig. Aber mir wäre das nichts mit der ganzen Latscherei. Santiago de Compostela. Zu sich selbst finden oder zu Gott oder der Welt oder was auch immer. Klingt wie Kompost. Und natürlich kann ich das sagen. Dass ich weg bin. Wie jeder Bürger und jeder Mieter seine Wohnung kündigen kann. Drüben klingelt das Handy. Bei mir ist Ruhe, und ich schalte das Radio an.
    Meine Tochter soll Sabine heißen. Ist total verrückt, aber ich würde auch gerne Sabine heißen. Weil mir der Name wirklich gefällt. Sind so seltsame Arbeitsgedanken. Fasching halt. Und meint auch nur den Arbeitsnamen, also Künstlernamen. Hätte ich mich früher nicht Babsi genannt, also Künstlername, würde ich mich jetzt Sabine … Weil ich mit einer Sabine gearbeitet habe und ganz gut konnte mit ihr, gar nicht so lange her. Nicht so gut wie damals mit der Magda, die war ja fast wie ’ne Schwester, die Magda. An die ich so oft denke. Mit der ich ja zusammen angefangen habe. Schneewittchen und Rosenrot. Nee, Weißchen. Die hat sich nicht die Muschi rasiert, also Sabine, nichtmal ’n Streifen, da habe ich großen Respekt vor, ganz ehrlich, ich mag das, wieso mag das keiner mehr von den Gästen, Achtziger-Style, aber glatt und blank ist eine Bank, aber bei ihr lief’s ganz gut, hat das extra annonciert, wenn alle plötzlich rasiert sind, macht man mit schwarzen Locken richtig Geld, sie hatte lange schwarze Haare, aufm Kopf natürlich, und jetzt macht sie in Kunst, unter ihrem richtigen Namen, ist schon seit fast zwei Jahren nicht mehr in der Firma. Fotos und so Mediensachen. Und Zeichnen auch. Viele hier in der Stadt machen in Kunst. Künstler eben. Die das können. Oder studiert haben. Wenn ich dran denke, dass ich auch mal studiert habe. Fachhochschule. Der Alte sammelt Bilder, habe ich gehört. Aber nur die Großen, die teuer sind und Geld bringen. Ich bleib am Boden kleben. Die Cola wollte ich vorhin schon wegwischen. Der zweite Gast hat die Flasche umgeschmissen, die auf dem kleinen Couchtisch steht. Ich lege mich aufs Bett. Riecht immer noch nach Arbeit, obwohl ich vorhin eine neue Decke draufgetan habe. Der Erste war scheiße, der Zweite ganz o.k. Wenn ich mir nicht die Muschi rasiere, werden sie blond. Ich bin naturblond. Ich hätte immer gerne
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