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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein
Autoren: Clemens Meyer
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nickte mir zu und »Ja, komm hoch, ich warte schon«, weil oft auch Stammkunden klingeln, ohne vorher anzurufen, und das könnte genauso gut für mich sein, aber sie sagt »Holger« und grinst und macht schonmal die Tür auf, und ich höre ihn unten auf der Treppe schnaufen, dabei ist er im besten Alter. Aber das sagen sie alle, wenn sie knapp über fünfzig sind. Bei mir ist er auch schon gewesen, aber Jenny ist eher sein Fall, da bin ich ehrlich. Also wieder rein ins Zimmer, die Kollegin macht das schon.
    Und ich stehe am Fenster und weiß nicht, ob das gut ist, wie das jetzt grad ist. Haus- und Hotel-Besuche stehen zwar in meiner Sedcard, Internet und Zeitung, H & H, aber gerne gehe ich nicht raus aus dem Nest. Vor allem im Januar. Minus zehn. Und habe ihn an der Strippe. Klingt zumindest freundlich. Immer nur mit Nummer, bei der ich zurückrufen kann. Sonst könnte ja jeder kommen. Wie mit den Pizzas, die dann keiner bestellt haben will. Aber ich kenn die Nummern vom Hotel, habe ab und an Besuche gemacht dort in den letzten Jahren. Frage mich, was er in der Stadt will, ist grad keine Messe. Unten auf der vereisten Straße verliert irgendein Depp die Kontrolle über seine Karre und schliddert fast wie in Zeitlupe und stellt sich quer und berührt lautlos die parkenden Autos, die ihn abfangen. Während ich mich anziehe, gucke ich nochmal, und da stehen sie auch schon auf dem Fußweg und gestikulieren, wie schnell der Besitzer des parkenden Autos seinen Weg in die Kälte gefunden hat. Mein Auto, mein Haus, meine Wut. Vielleicht hat er auch am Fenster gestanden wie ich. Wie ich.
    Und ich ziehe mich an, wähle die Kleider. Enge Jeans, das schwarze Top, die Jacke mit dem Glitzer drüber und den Mantel. Und da muss ich nochmal raus aus den Klamotten, weil ich doch noch den kleinen Schwamm wechseln muss, ist immer ’ne ganz schöne Fummelei, ist so ’n Spezialschwamm, der liegt ganz hinten, ziemlich weit drin, wegen der Tage, gehen heute los, prima Timing, nehmen die Mädels auch beim Porno, funktioniert, sollte nur keiner mit so ’nem Viertelmeterzollstock ankommen. Und dann klingelt das Telefon. Aber nicht bei mir, sondern in der Firma, wo Gerd rangeht, das Milchgesicht, früher war da noch Alex, das Milchgesicht, der jetzt bei den Engeln ist, und ich sage ihm, wo ich hinmuss und dass ich mich melde, wenn ich zurück bin, und ja, ich schreibe eine SMS, wenn ich da bin und alles klar ist. Ich gehe nicht gern raus zum Arbeiten. Verlasse nicht gerne das Nest. Egal, ob Winter oder Sommer. Die Hausbesuche versuche ich immer davon zu überzeugen, doch lieber zu mir zu kommen. Ich meine, wozu zahle ich Tagesmiete, wenn ich mich draußen rumtreibe. O.k., ist alles Geld und sind alles Kunden, die wieder anrufen, wenn sie zufrieden sind. Wenn ich ihnen gefalle. Und ihnen gefällt, was ich ihnen biete. Ich sehe mich im Spiegel, stehe im Bad und höre, wie Holger Jenny fickt. Oder Jenny Holger. Es waren schon paar gute Stunden dabei in den Hotels. Wenn die Typen Schampus spendierten, die halbe Nacht mit mir verbringen wollten für ’n Haufen Geld. Da bin ich schon fast Escort. Bei der Automesse gab’s immer viel zu tun. Das war ein Kommen und Gehen. Da habe ich auch am Wochenende gearbeitet manchmal. Letztes Jahr und das Jahr davor war nicht mehr so viel los, die haben ihre Sexpartys wohl nach auswärts verlegt, wie man so liest und hört. Sex in the city, sex on the beach . Portugal, Südamerika, Budapest. Das kann ich alles unterschreiben, die waren vollkommen hemmungslos, richtige Drecksäue dabei, aber wenn du Glück hattest, bist du bei ’nem kleinen Angestellten auf dem Zimmer gelandet, der eine war ganz niedlich, im Jahr zweitausendsieben, kann ich mich noch gut dran erinnern, was mich wundert manchmal nach all den Jahren und all den Gästen, vorher und nachher, aber eigentlich macht’s keinen Unterschied, ob Verkäufer oder Chef, wenn sie zahlen, denken sie, das wäre der Drecksau-Tarif. Die Höflichen, Angenehmen sind rare Ware auf dem großen kalten Markt. Da muss ich lachen und sehe mich im Spiegel, sehe meine weißen Zähne und bin ready to goho . Habe sie vor kurzem erst bleichen lassen.
    Und das Telefon klingelt, aber ich bin auf dem Weg zur Nachtschicht. Kurz vor neunzehn Uhr. Die Stadt und die Welt. Das Taxi steht schon unten. Mein Lieblingsfahrer. Der Motor läuft. Polizei auf der anderen Straßenseite. Wegen den paar Kratzern kommt in Deutschland das Einsatzkommando mit allem Drum und Dran. Ich war mal in
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