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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein
Autoren: Clemens Meyer
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Taxis in langen Reihen, wann habe ich beschlossen, Hure zu werden, und wann habe ich beschlossen, es zu bleiben , Hunderte Menschen in Abendkleidern und Anzügen, die um und in den erleuchteten Glaswürfel flanieren, später das Meer der Weißhaarigen unter uns, vor uns, wir kommen uns jung vor, keiner weiß, dass ich einen kleinen Schwanz in meinem Slip trage, zwischen den Beinen, ich trage ein lilafarbenes Abendkleid von Dolce, feinste Spitze, wie schön meine Brüste aussehen in den Spiegeln an der Garderobe, wie schön wir sind, er strahlt eine Würde aus und eine Härte zugleich, dass sie sicher Respekt vor ihm haben, auch wenn sie nicht wissen, wer er ist, die Bürger, die Firma Coppenrath & Wiese, so wie er es mal sagte, kurzzeitig habe ich Angst, dass ich einen Gast treffe, und tatsächlich kommt es mir einen Augenblick so vor, als würde der alte Herr …, als hätte der Graumelierte im schwarzen Anzug mir vor einigen Tagen in den Arsch gefickt, ein hohes Tier von der Sparkasse, aber nur wir zählen, und ich spüre ihn noch immer in mir, ohne Gummi, denn das ist der Schutz vor ihnen , so wie ich das Tier von der Sparkasse nicht in mir spüre und nie spürte, in meinem Mund nicht, er hat wunderbar gezahlt, und ich muss zugeben, dass ich auch angenehme Gäste habe und nicht nur solche Böcke. Wenn er will, würde ich aufhören zu arbeiten. Aber ich bin keine Träumerin. Bin ich nie gewesen. Vielleicht damals, im Kino, und damit meine ich die Zeit, als ich elf, zwölf, dreizehn war. Und vielleicht auch noch als ich meinen Namen änderte und Nageldesignerin lernte. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.
    Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Die Geschäfte laufen. Die Stadt bewegt sich. Gehen oder bleiben? Wo soll ich hin? Ich sitze am Fenster, und sie schläft hinter mir. Ich höre sie atmen, mal schnell, mal langsam, als würde sie unruhig träumen. Anderthalb Stunden in diesem Würfel, als wären wir ganz woanders, als wären wir ganz weranders. Was für eine ergreifende Musik. Werde ich alt? Werde ich wahnsinnig? Was tue ich hier? Die Invasion haben wir überstanden. Haben uns die Engel als Teufel geholt. Kommt auf den Standpunkt an, würde Alex jetzt sagen. Meine Leute wandern ab. Verrat geht um. Ich könnte sofort verschwinden, die Geschäfte übergeben. Noch mehr Geld? Darum geht es nicht. Noch mehr Markt? Kontrolle? Macht? Ich blicke in den nächtlichen Himmel. Dreizehntausendachthundert Millionen Jahre sind seit dem Urknall vergangen. Die entferntesten Galaxien leuchten zehn Milliarden Mal schwächer, als das menschliche Auge sehen kann. Das Jahr neunzehnhundertneunzig ist irgendwo da draußen. Genau wie die anderen Jahre. Die Zeit beschleunigt sich, die Grenzen verschwinden. Wo bin ich? In Tokio habe ich einmal die Ladyboys gesehen. Voll Abscheu und Faszination. Den großen Tanz der Kathoeys aus Thailand. Futunari, wie sie die Japaner nannten. Wunderschöne Frauen mit kleinen Schwänzen. Manche hatten auch große Schwänze. Im Verhältnis. Zeigten sie der begeisterten Menge. Einige Kathoeys hatten bereits eingebaute Muschis. Was für Drecksauen, dachte ich damals, meinte das fast als derbes Kompliment, und spürte doch auch eine Faszination, als Vorahnung, die Änderungen des Raumes. Und Schönheiten dabei und geile Stücke dabei und Schönheiten dabei, wie sie in meinen Zimmern und Räumen nur selten sitzen. Oder saßen. Damals. Im Jahre null. Als ich dachte, die Neunziger wären vorbei. Transen waren selten. Es gab keine in der Stadt. In Berlin saßen ein paar Transenhuren, in Hamburg … Jetzt würde ich nicht Transe zu ihr sagen. Wie schön sie ist. Und ihre Augen, fern und tief und wie Sternennebel, das Verschwimmen der Farben, Erinnerungen, Welten. Genug Science-Fiction . Ich weiß, dass es mein Ende sein könnte, dass es mein Ende ist, wenn ich länger mit ihr durch die Stadt gehe, mit ihr hier oben liege. Wo auch immer. Liebe ich sie? Du fehlst mir, alter Bielefelder Graf, du warst kultivierter und gebildeter als die anderen, auch wenn er , der hinterm Zentralbahnhof im Norden der Stadt hinter den Spiegeln sitzt, das sicher bestreiten würde. Ja, ja, wir gehören zur Gesellschaft, sammeln Kunst, gehen in die Oper, lesen …, und demnächst dichten wir auch noch? Der Bürgermeister nickt nur, oder immerhin, die Hand geben? Nein, das nun doch nicht. Wir sind die Vermieter der Nacht, haben wir Blut an den Händen? Nur nicht zu dramatisch werden. Schmutz? Nein. Nicht mehr und nicht
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