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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst
Autoren: Jonathan Kellerman
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bezüglich seiner Tochter eine unangemessene Hartnäckigkeit an den Tag legte. Als er noch dachte, seine Tochter wäre tot, nahm er zuallererst an, Gavin hätte ihr etwas angetan.«
    »Das hört sich mehr nach besorgtem Vater an.«
    »Könnte sein.«
    »Gab es irgendein für Gehirnerschütterung typisches Syndrom?«, fragte sie. »Bewusstseinstrübung, Schleiersehen, Desorientierung?«
    »Ein vorübergehender Gedächtnisverlust war das Einzige, was die Mutter erwähnt hat.«
    »Der Unfall liegt zehn Monate zurück«, sagte sie. »Und die Mutter redet immer noch davon, dass er sich verändert hat.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich. »Vielleicht war der Schaden dauerhaft. Aber ich bin nicht sicher, ob irgendwas davon eine Rolle spielt, Ally. Diese Knutschecken ziehen Voyeure und schlimmere Zeitgenossen an. Gavin und das Mädchen wurden entweder mitten im Koitus unterbrochen, oder sie wurden so arrangiert, dass es danach aussah.«
    »Ein verdammter Irrer.« Sie musterte prüfend ihr Brötchen, berührte es aber nicht. Lächelte. »Um den Fachausdruck zu benutzen.«
    »Es ist ein bisschen früh am Tag für Fachausdrücke«, entgegnete ich.
    »Mulholland Drive«, sagte sie. »Die Dinge, die wir tun, wenn wir uns für unsterblich halten.«
    Wir spazierten die drei Häuserblocks bis zu ihrer Praxis. Allisons Hand umspannte meinen Bizeps. Ihre vorne offenen weißen Schuhe hatte hohe Absätze, so dass ihr Scheitel bis an meine Unterlippe heranreichte. Eine sanfte Meeresbrise fuhr ihr durchs Haar, und weiche Strähnen streichelten meine Wange.
    »Milo hat diesen Fall aus freien Stücken übernommen?«, fragte sie.
    »Es schien nicht so, als hätte man ihn dazu überreden müssen.«
    »Ich nehme an, es ergibt einen Sinn«, sagte sie. »Er machte einen ziemlich gelangweilten Eindruck.«
    »Das war mir nicht aufgefallen.«
    »Du wirst das besser beurteilen können, aber für mich sah es so aus.«
    »Dieser Fall wird ihm jede Menge Stimulation bescheren.«
    »Dir auch.«
    »Wenn man mich braucht.«
    Sie lachte. »Wär auch für dich nicht schlecht.«
    »Mache ich einen gelangweilten Eindruck?«
    »Eher einen ruhelosen. All die Energie, die sich in dir aufgestaut hat, wie bei einem Tier im Käfig.«
    Ich knurrte, schlug mir mit der freien Hand gegen die Brust und stimmte ein zurückhaltendes Tarzangeheul an. Zwei uns mit festem Walkingschritt entgegenkommende Frauen verzogen die Lippen und machten einen weiten Bogen um uns, als sie vorübergingen.
    »Du hast gerade ihren Tag gerettet«, sagte sie.
    Milo, gelangweilt. Er jammerte so oft über beruflichen Stress, persönlichen Stress, den allgemeinen Zustand der Welt, alles, was gerade zur Hand war, dass ich den Gedanken nie erwogen hatte.
    Wann hatte Allison ihn zuletzt gesehen … vor zwei Wochen. Bei einem späten Abendessen im Café Moghul, dem indischen Restaurant in der Nähe des Polizeireviers West L.A., das er als ausgelagertes Büro nutzt. Die Inhaber glauben, seine Anwesenheit garantiere ihnen Frieden und Sicherheit, und behandeln ihn wie einen Maharadscha.
    An jenem Abend hatten Allison und ich, Rick und der Große uns zu einem Festessen einladen lassen, das unser Fassungsvermögen auf eine harte Probe stellte. Allison saß neben Milo, und die beiden redeten schließlich fast den ganzen Abend miteinander. Er hatte eine Zeit lang gebraucht, um mit ihr warm zu werden. Sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich mit einer neuen Frau zusammen bin. Robin und ich hatten mehr als ein Jahrzehnt zusammengelebt, und er betet sie an. Robin hatte ihr Glück an der Seite eines anderen Mannes gefunden. Ich glaubte, ich käme ganz gut damit zurecht, während sie und ich darum kämpften, eine neue Art Freundschaft zueinander zu entwickeln. Außer wenn ich nicht damit zurechtkam.
    Ich wartete darauf, dass Milo aufhörte, sich wie ein Kind zu benehmen, das zum Gegenstand eines Sorgerechtsstreits geworden ist.
    Am Morgen nach dem indischen Abendessen rief er mich an und sagte: »Du hast ja deine Macken, aber wenn du dich auf eine einlässt, dann ist es auch die Richtige.«
    Am Tag nach dem Mord meldete er sich telefonisch bei mir. »Keine Spermaspuren an dem Mädchen, kein Anzeichen für ein Sexualverbrechen. Es sei denn, man zählt den Speer dazu. Beide sind mit derselben 22er erschossen worden, jeweils eine Kugel mitten in die Stirn. Ein Mörder, der Hass empfindet oder die Kontrolle über sich verliert, neigt dazu, seine Waffe leer zu schießen. Was heißen soll, dass dieser Kerl
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