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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli
Autoren: Ursula Kahi
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nickte den beiden anderen Angestellten zu und folgte Geigy eilig. Am Haupteingang trat er ungeduldig von einem Bein aufs andere, bis die automatische Schiebetür ihm endlich den Weg nach draussen freigab. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit aus dem Bankgebäude lief, kam er gerade noch rechtzeitig, um den weiss-blauen BMW mit eingeschaltetem Blaulicht die Bahnhofstrasse hinunterrasen und in die Kasinostrasse schlingern zu sehen.

SIEBEN
    Das dunkelblaue T-Shirt klebte ihm am Rücken, als Patrick Unold fünf Minuten später keuchend in die Laurenzentorgasse einbog. Der Dienstwagen stand vor dem Schaufenster der Nummer 12. Von Bernhard Geigy fehlte jede Spur. Eine Menschentraube staute sich zwischen dem Wagen und der mächtigen Glasscheibe, an der ein Schild zu sehen war, auf das jemand mit zittrigen Buchstaben «Ab sofort geschlossen» geschrieben hatte. Immer wieder versuchte einer der Schaulustigen, zwischen den Neuerscheinungen und dem Schulanfangsdekor hindurch einen Blick ins Innere der Buchhandlung und Papeterie zu erhaschen. «Eben hab ich ihn noch gesehen. Keine Viertelstunde ist es her.»– «Wenn er nur keine Dummheit gemacht hat.»– «Drei Schüsse … Ich hab’s ja immer gesagt, der Sarasin gibt sich irgendwann die Kugel.»– «So ein herziges Kind, die Kleine.» Die unverhohlene Sensationsgier in den Gesichtern der Gaffer, die deren verbale Besorgnis Lügen strafte, nahm Unold den Atem.
    «Ihr Kollege ist bereits drin.» Ein südländischer Typ mit weisser Küchenschürze um den Bauch wies mit dem Kopf auf den Hauseingang der Nummer 12. «Das ging ja ruck, zuck. Ich hatte der Tussi von der 117 noch nicht mal meinen Namen zu Ende buchstabiert, kam ihr Kollege schon angebrett…»
    Unold wartete den Rest gar nicht erst ab. Er zwängte sich durch die Menge, stiess die Eingangstür auf und stürmte ins Haus. Grauschwarzes Dunkel umfing ihn, doch er war nicht gewillt, sich von der scheinbaren Ruhe einlullen zu lassen. Spärliches Licht sickerte durch eine angelehnte Tür im ersten Stock ins Treppenhaus.
    «Geigy, sind Sie dort oben?» Ohne die Antwort abzuwarten, hetzte Unold die Treppe hinauf.
    «Bleiben Sie, wo Sie sind und fassen Sie … nichts an, wollte ich sagen … Oh Mann, Gunnar wird begeistert sein.» Der verständnisvolle Blick von Bernhard Geigy nahm seinem harschen Tonfall die Schärfe. «Wenn Sie sich ausgekotzt haben, atmen Sie draussen einige Male tief durch. Sie haben schon genug versaut, da müssen Sie nicht noch kollabieren.»
    «’tschuldigung, es geht schon.» Ohne dass Unold es verhindern konnte, schweiften seine Augen zu Thomas Sarasin zurück, und ein weiterer Schwall – grünlich gelbe Galle diesmal – ergoss sich über seine Turnschuhe und spritzte auf den abgewetzten Vorleger.
    «Raus!»
    Widerspruchslos verliess Unold die Wohnung, stieg langsam die Treppe hinunter und trat auf die Strasse hinaus. Er hatte erwartet, dass die lauernde Meute über ihn herfallen würde. Stattdessen sagte der Küchenschurzmann bloss: «Kommen Sie, Sie können sich in meinem Bistro frisch machen.»

    Mindestens zwanzig Mal füllte Unold den Mund mit Wasser, liess es hin und her schiessen, presste es zwischen den Zähnen hindurch und spuckte es wieder aus. Längst war der bittere Geschmack verschwunden. Die Bilder in seinem Kopf jedoch liessen sich nicht so einfach in den Abfluss spülen. Das Gesicht des Toten eine einzige klaffende Wunde. Erst noch war er Thomas Sarasin gegenübergestanden. Und jetzt das: eine blutige Schädelhöhle, herunterhängende Hautfetzen, gezackte Knochensplitter. Und Wände, Decke und Möbel rot-weiss gesprenkelt, als hätte einer mit einer Farbpistole Himbeermousse im Zimmer versprüht.
    «Geht’s wieder?»
    Unold fuhr herum. Er hatte den Schürzenmann nicht hereinkommen hören.
    «Soll ich Ihnen einen Espresso bringen?»
    Unold schüttelte den Kopf.
    «Sie können auch was anderes haben. Das ‹Colosseo› ist berühmt für seine Kaffeespezialitäten.»
    «Danke», gab Unold schwach zurück. Allein beim Gedanken daran, etwas zu essen oder zu trinken, drehte sich ihm der Magen von Neuem um. «Ich muss … mein Chef … Sie wissen ja.» Was er damit sagen wollte, war ihm selbst nicht klar, denn eines wusste er genau: Bernhard Geigy wäre mehr als froh, ihn nicht wiederzusehen.

    Von diesem Wunsch, sollte er ihn tatsächlich hegen, liess sich Geigy nichts anmerken, als Unold wenig später in Thomas Sarasins Wohnung zurückkehrte. Er verlor auch kein Wort über Unolds
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