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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese
Autoren: Fred Vargas
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der Balkon sich im zweiten Stock befand. Es war absurd,angesichts eines einzelnen Mannes, der auf einem Balkon Luft schnappte, mißtrauisch zu werden, nur weil er gegenüber vom »Garibaldi« auf Höhe von Lauras Zimmer wohnte. Wahrscheinlich gab es Hunderte von Männern, die an diesem Abend gerade auf einem Balkon Luft schnappten. Aber der hier rührte sich nicht. Lautlos ging Valence ein paar Schritte näher, immer im Schatten der Wand, um nicht in das Blickfeld des Mannes zu geraten, falls dieser sich vorbeugte. Was stimmte da oben nicht? Bleibt man ganze Minuten lang auf einem Balkon im Dunkeln stehen, ohne sich auch nur einen Zentimeter zu rühren? Ja, das kommt vor. Das kann vorkommen.
    Valence atmete langsam. Die Nacht verwandelte ihn in einen gefährlichen Späher, er konnte jetzt absolut nicht mehr weggehen. In der Stille zu spähen war zu seinem einzigen Gedanken geworden. So verstrich eine Dreiviertelstunde. Ein böiger Gewitterwind erhob sich. Der Laden der Balkontür klappte zu und streifte die Silhouette. Das verursachte einen dumpfen Klang, und Valence spannte sich. Dieser Klang gefiel ihm nicht. Wenn der Laden eine Waffe gestreift hätte, dann hätte das genau dieses Geräusch gemacht. Der Laden hatte natürlich jeden beliebigen anderen Gegenstand aus Metall streifen können. Aber er hatte auch eine Waffe streifen können. Vorsichtig nahm Valence seinen Koffer und ging auf dem Bürgersteig zurück, immer dicht an der Wand. Als er an der Straßenecke angekommen war, rannte er los und ließ sich die Tür des »Garibaldi« öffnen. Seit einer Stunde stand ein Mann gegenüber dem zweiten Stock in der Dunkelheit und hatte ein metallenes Dings bei sich.
    Recht barsch sprach er den jungen Mann von der Rezeption an. Laura Valhubert war noch nicht auf ihrem Zimmer, ihr Schlüssel hing am Brett, Nummer 208.
    »Wo liegt das Zimmer? Geht es nach hinten hinaus?«
    »Ja, Signore.«
    »Wohin genau?«
    »Muß ich Ihnen das sagen?«
    »Sonderauftrag«, erwiderte Valence und zeigte seine Karte.
    »Es führt auf den mittleren Teil der Straße, auf Höhe des alten Hotel ›Luigi‹.«
    »Bringen Sie mir bitte einen Whisky an die Bar. Sagen Sie Madame Valhubert, daß ich sie dort erwarte, und lassen Sie sie unter keinen Umständen vorher in ihr Zimmer hinaufgehen. Das heißt, geben Sie mir ihren Schlüssel, das ist sicherer.«
    Seine Worte kamen schnell. Er hatte keine Angst. Ihm war jetzt nur klar, daß eine mörderische Silhouette Laura in der Dunkelheit des Hotel »Luigi« erwartete und daß er ihr niemanden zu Hilfe rufen konnte. Die Polizei zu informieren würde ihn zwingen, den Schwarzhandel von Laura und dem Doryphorus zu enthüllen, und zu ihrer sofortigen Festnahme führen. Er mußte allein mit dem Mörder zurechtkommen.
    »Madame Valhubert ist noch in der Bar«, sagte der junge Mann und gab ihm den Schlüssel.
    In seiner Stimme lag Mißbilligung.
    Schweigend durchquerte Valence die Halle und ging in die Bar. Laura saß allein dort, die Ellbogen auf einem Tisch, das Gesicht auf ihre geschlossenen Hände gestützt. Sie hielt gerade noch eine Zigarette in der Hand. Als er näher kam, hatte er den Eindruck, wenn er auch nur ein einziges Geräusch machte, würde er den Tod auslösen, der auf der Straße wartete, und Laura würde sterben, bevor er die Zeit hätte, sie zu packen. So wie es heißt, daß ein Schrei eine Lawine auslösen kann. Als er hinter ihr angekommen war, sprach er sie mit fast unhörbarer Stimme an.
    »Folge mir vorsichtig. Ich muß dich woanders hinbringen.«
    Sie rührte sich nicht. Sie war in sich gekehrt und reglos. Er ging um ihren Stuhl herum und sah sie an.
    »Du mußt mir folgen, Laura«, wiederholte er leise.
    Was konnte er nur machen? Da stand er vor dem Tisch, diese herrliche, entmutigte Frau vor sich, die er woandershin bringen mußte. Er beschloß zu lügen.
    »Mach dir keine Sorgen mehr um Tiberius«, sagte er. »Sie lassen die Beschuldigung wegen Mordes fallen. Der Richter sagt, er kriegt nur zwei Jahre. Komm, mach keinen Lärm und folge mir.«
    Sie zog an der Zigarette, ohne den Kopf zu heben.
    »Jemand wartet gegenüber von deinem Fenster auf dich, um dich abzuknallen«, fuhr Valence fort.
    Laura stand langsam auf, und die Asche ihrer Zigarette fiel auf den Tisch. Mit gesenktem Kopf stand sie vor Valence, ohne ihn anzusehen.
    »Alles kotzt mich an«, sagte sie. »Du kannst nicht verstehen, wie sehr mich alles ankotzt.«
    Valence zögerte. Er blieb ein paar Sekunden so stehen, Laura
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