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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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Verspeisen eines zweiten Gerichtes …« »Ebenso«, setzt der Mann meiner Mutter hinzu, »wird das Weintrinken gemimt.« Und er erhebt sein leeres Glas. »Prosit!« sagt er. Er führt es zum Munde.
    »Nicht übertreiben, du Dummkopf«, sagt meine Mutter zu ihm. »Das Glas kannst du dir mit Wasser füllen.« Dann wendet sie sich wieder dem Gaste zu. »Zuweilen wird auch das Obstessen gemimt, – freilich nicht immer. Der Kinder wegen lege ich Wert darauf, daß es geschieht. Nicht etwa um der Komödie willen. Sonst«, erklärt sie dem Gast, »wenn wir eines Tages richtig zu essen hätten, – wie würden sie sich aufführen? Wie die Wilden …«
    »Oh! verstehe!« murmelt der Gast.
    »Am Ende würden sie mit den Fingern auf die Teller gehen«, fährt meine Mutter fort. »Oder womöglich das Messer in den Mund stecken …« »Oder würden bei jedem Löffel Suppe schmatzen«, murmelt der Gast.
    »Und ob!« fährt meine Mutter fort. »Die würden sie am Ende gar aus dem Teller schlürfen«, fährt sie fort. »Sie wären wie Wilde. Und zwar für immer … So müssen sie halt essen lernen, auch wenn sie jetzt nichts essen.«
    »Wer etwas gelernt hat, kommt überall durch«, sagt der Mann meiner Mutter.
    »Wie man so treffend zu sagen pflegt«, fährt meine Mutter fort.
    »Eines schönen Tages wird ihnen einmal zu essen geboten sein, und sie müssen es können.« »Verstehe«, murmelt der Gast.
    Er beobachtet die schluchzenden Kleinen – mit dem unentwegten Lächeln, welches sein schwarzes Antlitz erhellt, und er beobachtet, wie sie, trotz ihrem Geschluchze, dasitzen, als wären sie festgenagelt. »Das hat schon seinen Sinn«, murmelt er. Dann fragt er: »Habt ihr ihnen bereits beigebracht, von allem zu essen?«
    »Wir verfahren dabei je nach ihrem Alter«, antwortet
    ihm der Mann meiner Mutter. »Die Suppe zum Beispiel, – die können daher die Großen wie die Kleinen essen. Bratkartoffeln ebenso. Gemüse desgleichen. Und alle können sie Wasser trinken mit einem Tropfen Wein darin.« Er wendet sich den schluchzenden Kleinen zu. »Nichts trinken, ihr Lieben?« sagt er aufmunternd zu ihnen. »Ich habe euch Wein ins Wässerchen getan,«
    »Dummkopf!« sagt meine Mutter zu ihm. »Warum?« sagt er. »Hingegen das Fleisch für den Kleinsten«, so fährt er plötzlich fort, »das wird von uns geschnitten.«
    »Und Huhn?« fragt der Gast. »Habt ihr einem von ihnen schon beigebracht, wie man Huhn ißt?« »Alle Wetter! Da haben wir diesesBürschchen hier«, antwortet der Mann meiner Mutter, »der es zu verspeisen versteht, als wäre er ein Pier Luigi. Und ebenso das kleine Fräulein hier gegenüber. Als wäre sie eine Maria Christina. Mit ihren zierlichen Bewegungen nehmen sie sich einander gegenüber fast so aus, als tanzten sie Menuett, wenn sie hinter einem Hühnergericht her sind.«
    Obgleich noch in seinem Lächeln befangen, folgt der Gast dennoch mit höchstem Interesse. Auch achtet er nicht auf meine Mutter, die ein Ende machen möchte. Er hört nicht hin, als sie abermals zu ihrem Gatten sagt:
    »Dummkopf!«
    »Fassen sie es nicht mit den Fingern an?« fragt er. »Wehe!« antwortet der Mann meiner Mutter. »Sie wissen, daß das eine Ungehörigkeit wäre!« »Zerlegen sie es mit Messer und Gabel?« fragt der Gast.
    »Aber natürlich«, antwortet der Mann meiner Mutter. »Allenfalls helfen sie sich mit einem Stückchen Brot, – wenn es Frikassee ist …«
    Meine Mutter schreit ihn an: »Schluß. Schluß, habe ich dir gesagt!«
    »Signora«, murmelt der Gast. »Nur eine letzte Frage noch.« Hierauf fragt er den Mann meiner Mutter: »Bringen sie denn richtig das Fleisch davon ab?« »Nicht ein Bröckchen lassen sie dran«, antwortet ihm der Mann meiner Mutter.
    »Schön!« murmelt der Gast. Er überdenkt, was er vernommen hat. Und lachend sagt er: »Auch ich möchte wissen, wie man einen Hühnerflügel ißt.« Er sagt es lachend. »Hatte nie Gelegenheit, es zu lernen«, sagt er lachend.
    »Soll das heißen«, sagt der Mann meiner Mutter zu ihm, »daß Ihr niemals Huhn gegessen habt?« »Hatte nie Gelegenheit dazu«, sagt unser Gast lachend.
    »Aber heute werdet Ihr sie haben«, sagt der Mann meiner Mutter.
    »Ich glaube, es gibt heute als zweites ausgerechnet Huhn.« Und während die Kleinen hefig schluchzen, sieht er fragend meine Mutter an. »Gibt es nicht Huhn heute?« »Ja«, sagt meine Mutter. »Es gibt Huhn.«

    2

    Ein Schlag auf den Tisch, – als sei etwas Schweres von der Decke herabgefallen, – läßt
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