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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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ihm. »Ich weiß nicht, was drin ist. Und ich muß Vaselin nehmen, um es herunterzubringen.« In Großvaters Bartfülle regt sich etwas: um den Mund herum.
    »Tatsächlich Vaselin«, wiederholt Rußgesicht. »Bestimmt.« Und er lacht. »Zum Lachen, nicht?« Wir aber lachen nicht. Wir beobachten den Großvater: die neuen Regungen in seinem Barte; und wir lauschen auf das, was wir als sein Lachen heraushören aus dem Schoße seiner hundert Jahre. Wie ein Bach klingt es tief in seinem Innern und sehr weit entfernt in ihm zwischen den Felsenriffen der Jahre. Und wo klingt es? In jener Zeit, da er ein ganz andrer Elefant war? Wir haben uns daran gewöhnt. Es kommt sogar vor, daß er lacht: so dreioder viermal im Jahr. Doch nie verfehlt es seinen Eindruck auf uns.

    0

    Wenn mittags um Viertel nach zwölf mein Bruder Euklid erscheint, ist die Zichorie für den Großvater immer schon im Kessel zubereitet.
    Meine Mutter stellt meinen Bruder Euklid dem Besucher vor. »Das ist mein ältester Sohn«, sagt sie zu ihm. Und zu meinem Bruder Euklid: »Er ist ein Freund von Großvater.«
    Rußgesicht ist äußerst korrekt: steht auf und verbeugt sich, gibt meinem Bruder die Hand. »Eure Mutter erweist mir die Ehre, mich Freund dieses Herrn hier zu nennen … Ich empfinde aufrichtige Hochachtung.«
    Dann setzt er sich wieder – mit Schemelgeknackse. »Sieh du doch mal zu, ob es dir gelingt, ihm den Schemel auszuwechseln«, flüstert meine Mutter meinem Bruder Euklid zu.
    Den Kessel hat sie vom Reisigfeuer weggezogen und den Mädchen einen Wink gegeben, sie sollten den Tisch decken. »Träumt nicht«, hat sie zu ihnen gesagt. »Fix.« Nun kommt sie mit dem Kessel an, um ihn auf den Boden zu stellen, auf ein Brett in Großvaters Nähe.
    Sie setzt ab, richtet sich auf und stemmt ihre Hände in die Hüfen. Sie beobachtet, wie der Dampf Großvaters Körpermasse einnebelt, wie er um sein Haupt aufsteigt, und erblickt Rußgesichts schwarzes Antlitz, das feucht wird und von da drinnen herausleuchtet. »Verzeiht«, sagt sie zu ihm. »Ich tu’s, um ihn zu Tisch zu rufen.« Und sie fügt gleich hinzu: »Wir essen jetzt. Aber ich möchte nicht, daß Ihr deshalb fortgeht. Wenn auch Ihr mittags etwas eßt, könnt Ihr’s ebenso hier tun. Wenn Ihr mit dem fürlieb nehmt, was wir haben.«
    »Signora«, antwortet Rußgesicht und legt seine Hand auf die Brust.
    Er hat sich erhoben und steht im dichten Schwalch des Dampfes, – dampfgebadet, als wäre er selber dem Kessel entstiegen. »Signora«, sagt er, »ich störe nicht gern, schätze aber Eure Einladung allzusehr. Ich habe sonst niemanden in der Stadt. Habe heute auch keine Arbeitskameraden mehr, mit denen ich speisen könnte. Müßte mein Mahl auf irgendeiner Schwelle alleine verzehren. Ich bleibe also. Entschuldigt, – warum weinen eigentlich die Kinder hier?« Immer zur Essenszeit fangen unsere Kleinen an zu weinen. Sobald sie nur sehen, daß ihre Großmutter den Kessel herbeischaf.
    »Achtet nicht drauf«, sagt sie zu Rußgesicht. »Wir beachten das nicht. Andre weinen den ganzen Tag, sie aber nur zu dieser Stunde.«
    »Ja, ist das nicht sonderbar?« bemerkt Rußgesicht. »Daß die andern den ganzen Tag über weinen, kommt, vermute ich, daher, weil sie gern essen möchten. Zur Essensstunde hören sie gewöhnlich auf. Warum weinen aber sie hier gerade jetzt?« »Eigentlich dürfet Ihr nicht mit uns speisen«, antwortet meine Mutter, »Ihr seid – ich möchte sagen – neugierig. Warum sie nicht sonst tagsüber weinen, das weiß ich selbst nicht einmal. Vielleicht deshalb, weil sie einiges aushalten können. Warum sie aber gerade zu dieser Tageszeit weinen, das könnt Ihr gleich mit eigenen Augen sehen. Momentan sind wir übel dran, mein Freund.«
    »Ach!« ruf Rußgesicht aus. »Das tut mir leid. Ihr meint, zu dieser Stunde hätten sie immer gern ein üppigeres Mahl, wenn ich recht verstanden habe …«

    »Ihr habt nicht so ganz falsch verstanden«, sagt meine Mutter zu ihm. »Doch gleich versteht Ihr noch besser.« Sie bedeutet ihm, zur Seite zu gehen. »Macht Platz da. Unser Alter will durch.« Im Dampfgewölk steht unser Alter mit seiner ganzen Fülle, aufrecht, nicht etwa gebeugt, und Rußgesicht muß mit seinen weißen Augen hoch hinaufschauen, um das wuchtige Antlitz wiederzufinden. Der Alte ist stehengeblieben, weil Rußgesicht ihm in der Quere war. Als aber Rußgesicht aus dem Wege geht, legt er ihm eine Hand auf die Schulter und vollendet, auf ihn gestützt, den zweiten der
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