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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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beiden Schritte, die ihn von dem Platz am Kopfende des Tisches trennen.
    Meine Mutter knüpf dann wieder das Gespräch mit Rußgesicht an: »Wenn Ihr bedenkt, daß nur mein Sohn Euklid Arbeit hat, werdet Ihr uns wohl entschuldigen.«
    »Aber Signora«, sagt Rußgesicht. »Auch ich bin Arbeiter. Auch ich habe das erlebt und noch mehr.« Bei dieser Unterhaltung mit meiner Mutter ist er sehr schüchtern und förmlich, wenngleich auch immer noch aufgeräumt. »Auch ich habe erlebt …«, wiederholt er.
    »Ich hingegen«, unterbricht ihn meine Mutter, »ich hatte das noch nicht erlebt. Bei der Kraf, die der Alte da zu Eurer Rechten in seinen guten Jahren hatte, brachte er heim, was drei Mann verdienen, und arbeitslos war er nie …«
    Hier hält sie inne, aber nicht etwa, weil sie ausgeredet hätte; nur, weil sie zögert. Sie sieht uns an und kann uns doch nicht schonen; sie möchte wohl und kann doch nicht.
    »Während sie jetzt, drei Mann hoch«, fährt sie fort, »und die Weibsleute nicht eingerechnet, kaum den Verdienst von einem bringen.«
    »Verzeiht mir«, wendet Rußgesicht ein. »Ich, an Eurer Stelle, würde nicht so reden. Ja, bitte, entschuldigt midi alle. Ich glaube aber, sagen zu müssen, daß die Signora hier ein klein wenig ungerecht ist.«
    Wir stimmen flüchtig zu. Herzhafer tut es der Mann meiner Mutter,
    »Wie Ihr wollt«, sagt meine Mutter. »Nur verberge ich halt meine Gedanken nicht.«
    »Ich empfinde höchste Bewunderung«, fährt Rußgesicht fort, »für einen Arbeiter, wie es euer Alter gewesen sein muß. Ich konnte es sogar von weitem sehen … Er muß der Stolz seiner Kolonne gewesen sein. Ein Stolz für den, der mit ihm arbeitete, und für den, der in seiner Nähe arbeitete …«
    »Und für den, der ihn arbeiten sah«, fügt meine Mutter hinzu. »Und für den, der seines Blutes war, mein Freund. Und für den, der ihm kochte. Und für den, der ihm die Wäsche wusch. Und für den, der ihm nähte und ihm bügelte.«
    »Ich bezweifle es nicht«, sagt Rußgesicht. »Glaube aber nicht«, sagt er lachend, »daß ein Arbeiter nun eine Größe sein muß, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen …«
    »Das ist der Witz«, kreischt der Mann meiner Mutter.
    Er steht auf und drückt, über den Tisch weg, Rußgesicht die Hand.
    »Bravo!« kreischt er. »Der habt Ihr’s gesagt!« »Bravo – das nächste Mal!« gibt meine Mutter zurück. »Nichts hat er mir gesagt, was ich nicht schon wüßte.«
    »Stimmt haargenau«, sagt Rußgesicht lachend. »Ich habe ihr nichts gesagt, was sie nicht wüßte. Und habe ihr«, sagt er lachend, »auch nachher nichts zu sagen, was sie nicht selber wüßte.«
    »So redet denn und lacht nicht«, sagt meine Mutter. »Ich lache nicht, Signora«, sagt Rußgesicht lachend. »Es liegt doch bestimmt nicht am Großund Starksein, wenn Eure Jungen keine Arbeit haben.« »Daran liegt’s bestimmt nicht«, sagt meine Mutter. »Groß und stark sind sie. Und mein Sohn Euklid hat ja auch Arbeit.«
    »Mithin trif sie keinerlei Schuld«, sagt Rußgesicht – und lacht.
    »Wer hat denn je gesagt, daß sie irgendwelche Schuld
trif?« ruf meine Mutter aus.
»Ja«, sagt Rußgesicht zu ihr. »Eben.«
    »Und wir auch nicht«, sagt der Mann meiner Mut-
ter.
»Wir?« sagt Rußgesicht lachend.
    Er ist winzig klein. Großvater kann ihn unserer Sicht entziehen, wenn er mit dem Arm vor ihn kommt. Jetzt deutet er auf sich und auf den Mann meiner Mutter. »Wir?« wiederholt er. Und zuckt die Achseln – gerade in dem Augenblick, als meine Mutter zu dem Gatten sagt:
    »Schweig still, du, blondes Mannsbild!«

    

    Zu Ehren des Gastes wollte meine Mutter, daß der Tisch besser gedeckt sei als sonst. So haben wir nicht nur Teller und Gläser, sondern auch eine Menage, sogar zwei Obstschalen, und die Teller gibt es in doppelter Anordnung, einen flachen und einen tiefen, mit dreiteiligem Besteck, als diente es für Suppe, Fleisch und Obst. Überdies haben wir alle unseren festen Platz einnehmen müssen, während zum Beispiel ich, wenn ich nicht mein Brot schon im Park verzehrt habe, an gewöhnlichen Tagen mich hinsetze und aufstehe und mich immer wieder hinsetze, immer wieder aufstehe und mein Brot, das ich unter dem Wasserhahn aufweichen lasse, in der Nähe des Spülsteins hinunterschlinge.
    »Das Verzehren der Vorspeise zu mimen, können wir uns wohl schenken, nicht?« sagt meine Mutter. »Denn hier, Signore, ist alles ein Mimen«, sagte sie. »Gemimt wird das Suppenessen, und gemimt wird das
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