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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca
Autoren: Susanne Kaiser
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Martina. Genau da hakte Jens Arne plötzlich ein. Den Vorwand dafür lieferte ihm die Neubesetzung der Adalgisa mit einer jungen Sängerin, die vor Ehrfurcht vor dem Maestro erstarrte. Jens Arne genoss seine Macht, er quälte die Arme, süß, zart und mädchenhaft sollte die Adalgisa plötzlich sein, wodurch sich auch für Elia die Gewichte in den gemeinsamen Szenen verschoben. Doch statt der Adalgisa etwas mehr Biss zu gestatten, behauptete er, Elia sei zu heftig und überdecke ihre Partnerin.
    Das war der neueste Vorwurf, den er Elia seit einiger Zeit immer wieder machte: zu hart, zu gewaltig, ja schrill und rücksichtslos. Dabei hatte er Elia jahrelang wie ein Besessener zu immer größerer Raserei angetrieben, auch bei der Norma konnte ihm die Verzweiflung gar nicht maßlos genug sein.
    Ein ungeheurer, ein verletzender Vorwurf, seine absurde Behauptung verschlug ihr den Atem. Sie zischte Jens Arne an: »Das lass ich mir nicht gefallen! Der Fehler liegt nicht bei mir, nur du willst plötzlich alles ändern!« Sie knallte ihre Noten auf den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen, mit verschränkten Armen funkelte sie Jens Arne an.
    Noch nie hatte sie sich bei der Arbeit zu so einem Wutausbruch hinreißen lassen, die Verblüffung bei allen Anwesenden war entsprechend groß, selbst Jens Arne fiel nichts anderes ein als ein albernes: »Oho, die Primadonna!« Der Assistent machte beschwörende Handbewegungen, der Tonmeister deutete verzweifelt auf die Uhr, und Jens Arne blätterte wütend in seiner Partitur. Dann klopfte er ans Pult: »Gut, meine Herrschaften, noch mal zurück zum Anfang. Norma – Adalgisa, Miss Gladstone, bitte etwas mehr Nachdruck, nicht so piepsig.« Noch nie hatte Elia ihre Lieblingsszene so kalten Herzens gesungen.
    Nach dem Ende der Aufnahme rannte sie aufs Klo und erbrach sich. Sie würgte und würgte, als könnte sie ein Gift wieder loswerden, von dem sie nicht erst seit heute spürte, dass es in ihr kreiste und an ihrem innersten Kern fraß. Sie hatte aus dem Singen ihre Lebensenergie bezogen, immer wieder hatte es sie hinweggetragen über alle Widrigkeiten und allen Kummer, wie auf machtvollen Schwingen. Die versuchte Jens Arne nun zu stutzen. Noch hatte Elia die Kraft, sich dagegen zu wehren, aber wie lange noch? Manchmal kam es ihr so vor, als hätte Jens Arne geradezu Spaß daran, sie an ihre Grenzen zu bringen, ja darüber hinaus! Irgendetwas Ungutes fand hier statt, was sie sich nicht erklären konnte.

    Im Frühsommer stand Salzburg an, Elia flog mit Jens Arne nach München. Dort holte sie die gleiche Limousine ab wie im vergangenen Jahr, um sie in die Landhausvilla zu bringen. Es goss wie aus Kübeln, dort, wo Elia im vergangenen Jahr die schönen Berge gesehen hatte, waberten dicke blauschwarze Wolken bis auf die Bergwiesen herunter. Das Schauerwetter passte gut zu der Villa, nun sah sie vollends aus wie ein Gespensterschloss.
    Salzburg, so fand Elia, bekam der Regen besser als der Sonnenschein mit seinem grellen Getriebe und Gelärme. Trotzdem hoffte sie auf wärmeres Wetter spätestens nach dem›Don Carlos‹, denn sie hatte noch ein paar Ferientage angehängt, um in der lieblichen Landschaft Spaziergänge zu machen. Und sie würde allein sein, endlich allein, die ganze Zeit über, denn Jens Arne hatte gleich anschließend in Wien zu tun.
    Schon am Tag nach der Ankunft klopfte das Mädchen an Elias Tür und sagte, ein Besuch warte auf sie. Es war Sisi, die bei den Großeltern Ferien machte. Elia lud sie ein, zu den Verständigungsproben mitzukommen, und besorgte ihr auch eine Karte für die erste Vorstellung. Und so kam es, dass Jens Arne nicht nur mit seiner Frau zum Festspielhaus fuhr, sondern auch mit seiner Tochter, die sich hinten in den roten Porsche hineinquetschen konnte. Sie trug ein klassisches wadenlanges Dirndl ihrer Mutter. Jens Arne schaute sie überrascht an, wie mädchenhaft jung und frisch sie doch aussah. »Was macht deine Mutter?«, fragte er Sisi, die zog leicht die Schultern hoch: »Och ja, es geht so. Sie arbeitet viel im Garten, ihre Rosen sind richtig berühmt.« – »Also alles wie immer. Dann ist es ja gut«, meinte Jens Arne.
    Elias Darstellung der Elisabeth war wie das Protokoll der ausweglosen Zerstörung und Auslöschung einer hochherzigen jungen Frau durch ein rigides, düsteres Machtsystem. Es geriet umso beklemmender, als der Fontainebleau-Akt mit der unbekümmert-offenen, glücklichen jungen Prinzessin nicht stattfand. In ihrem strengen
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