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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten
Autoren: Linda Fairstein
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Rahmen sich das Verbrechen abgespielt hatte sowie potenzielle Spuren sichten, die in den kommenden Tagen zerstört oder verändert werden würden.
    Auf Grund meiner jahrelangen Erfahrung konnte ich außerdem oft eine hilfreiche Perspektive beisteuern. Manchmal erinnerte ich mich an ein bestimmtes Detail, das die Fahnder auf die Spur eines Wiederholungstäters brachte – schließlich war die Rückfallquote in dieser Verbrechenskategorie besonders hoch.
    Mercer ließ den Motor an und drehte die Heizung des alten Dienstwagens auf, der schon mehr Einsätze auf dem Buckel hatte, als die meisten Polizisten in ihrer gesamten Dienstzeit hinter sich brachten. »Also, irgendeine Eingebung?«, fragte Mercer und lächelte mich an.
    Viele erfahrene Polizisten verfügen über einen sechsten Sinn und behaupten, dass ihnen allein schon der Tatort etwas über den Täter sage. Ich schüttelte den Kopf, während ich meine behandschuhten Hände in der eisigen Januarluft rieb, die durch die schlecht abgedichteten Fenster ins Auto drang. »Nichts, was du nicht auch wüsstest. Wieder mal einer von diesen Kranken, die es erregt, sich an einer fremden Frau zu vergehen.«
    »Die Häuser am Ende der Straße haben alle Portiers. In dem Brownstone-Haus sind alle Apartments bewohnt, und die Straße ist gut beleuchtet. Der Kerl hatte die Ruhe weg. Er hat sie an der Haustür abgefangen –«
    »Hat sie dir das erzählt?«
    Mercer war gestern spät abends im Krankenhaus gewesen, als die junge Frau aus der Narkose aufgewacht war. »Sie konnte wegen der vielen Schläuche noch nicht sprechen, und außerdem ließen mich die Ärzte nur eine Viertelstunde zu ihr. Ich habe ihr die Antworten von den Lippen abgelesen, bis sie müde wurde, und dann hat sie mir noch ein paar Ja-Nein-Fragen durch Händedruck beantwortet.«
    Wir fuhren zum Krankenhaus, das nur ein paar Straßenzüge entfernt an der Kreuzung York Avenue und 68. Straße lag. Mercer hatte bereits am Vormittag auf dem Weg ins Büro bei Annika Jelt vorbeigeschaut, bestand aber darauf, sie noch einmal zu besuchen. Das würde er jeden Tag bis zu ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus tun. Er wollte der jungen schwedischen Studentin sagen, dass er mit ihren Eltern telefoniert hatte und sie morgen nach New York kommen würden. Bis dahin war er der engste Vertraute, den sie hatte.
    »Wusste Annika, dass er ein Messer hatte?«
    »Sie hat ihn nicht einmal kommen hören. Wahrscheinlich hat sie ihn erst bemerkt, als er ihr den Arm um den Hals legte und das Messer an die Kehle drückte.«
    »Keine besonders ungewöhnliche Vorgehensweise«, sagte ich.
    »Soll er auch noch kreativ sein, Alex?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wie du weißt, steckt der Teufel im Detail. Was genau er gesagt hat, wie er sie berührt hat, wie er roch – es kann noch ein paar Tage dauern, bis sie uns das sagen kann.«
    »In der Zwischenzeit können wir nur hoffen, dass er sich nicht heute oder morgen Nacht ein neues Opfer sucht.«
    Mercer zückte an der Krankenhauszufahrt seine Dienstmarke. Der Wachmann wies ihn an, am Bordstein zu parken.
    Als wir die Tür zur chirurgischen Intensivstation aufdrückten, wurden wir vom Piepsen der Monitore empfangen. In allen acht Boxen versorgten Krankenschwestern und Pfleger die Intensivpatienten.
    Mercer ging zu der verglasten Box, in der Annika Jelt lag.
    »Sie ist wach, Detective«, begrüßte uns die Krankenschwester. »Sie können reinkommen.«
    Ich blieb in der Tür stehen, während Mercer an Annikas Bett trat und ihr die Hand auf den Unterarm legte. Annika drehte den Kopf und versuchte zu lächeln und »Hallo« zu sagen, als sie ihren neuen Freund und Beschützer erkannte, konnte aber wegen der Schläuche in ihrer Nase kaum die Lippen bewegen.
    Mercer beugte sich über das Bettgeländer und strich Annika sanft über die Stirn. »Nicht sprechen. Ich bin nur gekommen, um mich zu vergewissern, dass man sich gut um Sie kümmert.«
    Die Krankenschwester ging ans Kopfende des Bettes und richtete das Kopfkissen. »Detective Wallace hat mir mit Gefängnis gedroht, wenn wir Sie nicht so schnell wie möglich wieder auf Vordermann bringen.«
    Annika drehte den Kopf zur Krankenschwester und versuchte erneut zu lächeln.
    »Ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen, Annika. Es ist alles in Ordnung. Ihre Eltern werden morgen hier sein.«
    Der jungen Frau traten Tränen in die Augen, sie gab einen kehligen Laut von sich.
    »Ihre Eltern wissen, dass Sie über den Berg sind. Sie möchten einfach nur bei Ihnen
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