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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten
Autoren: Linda Fairstein
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verloren, was mir seit meinem vierten Lebensjahr versprochen worden war. Das Miststück wollte Geld – viel Geld. Sie wollte meinen Stief…« – Phelps berichtigte sich –, »sie wollte den Mann, der mich aufgezogen hatte, erpressen. Sie wollte alles kaputtmachen und mich zu einem Leben in der Gosse verdammen.«
    Ich hielt nach Rettung Ausschau, während ich den dritten Stein durch den Wald schleppte.
    »Von frühester Kindheit an versuchte ich, einem Mann zu gefallen, der mich eigentlich gar nicht unter seinem Dach haben wollte. Er hatte mich nach dem Tod meiner Mutter bei sich aufgenommen«, sagte Phelps.
    Ich verriet nicht, dass wir einen Großteil der Geschichte schon von Gino Guidi gehört hatten. Es würde ihn nur reizen, wenn ich ihm zu erkennen gab, was meine Kollegen und ich bereits über seine Vergangenheit in Erfahrung gebracht hatten.
    »Warum sollte er Sie bei sich aufnehmen, wenn er Sie nicht haben wollte? Das ergibt keinen Sinn.«
    »Ich war zu klein, um es zu begreifen. Meine Mutter hatte ihm den Haushalt geführt, und die Frau, die sich nach ihrem Tod um mich kümmerte, arbeitete auch für ihn, in der Küche. Sie behauptete, dass er anfangs großes Interesse an mir zeigte. Die Ablehnung kam erst, als ich acht oder neun Jahre alt war. Damals heiratete er, und seine Frau wollte Kinder mit ihm haben. Aber natürlich nicht das uneheliche Kind des Hausmädchens.«
    »Wer … wer war der Mann?«, fragte ich, während ich weiter schwere Steine in die Höhle schleppte, um mir meinen eigenen Sarkophag zu bauen.
    Phelps lehnte, die Schrotflinte unter den Arm geklemmt, an der Höhlenwand. Er hatte den Reißverschluss seiner Jacke bis zum Kinn hochgezogen und machte mit seinem Schal und seinem Hut einen beneidenswert warmen Eindruck. »Phelps. Sinclair Phelps.«
    Wir wussten, dass Phelps, wie Edgar Poe, enterbt und nie von seinem Ziehvater adoptiert worden war. »Er hat Ihnen seinen Namen gegeben?«
    »Ich habe ihn mir genommen, Miss Cooper. Nicht lange nachdem sich Auroras und meine Wege getrennt hatten. Ich konnte nicht davon ausgehen, dass ihre Leiche die nächsten fünfundzwanzig Jahre unentdeckt bleiben würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich so gut davonkommen würde. Immerhin hatte ich einigen Leuten gebeichtet, dass ich das arme Mädchen umgebracht hatte.« Er grinste mich an. »Was kann ich dafür, wenn mich niemand ernst genommen hat?«
    »Wie ist Ihr richtiger Name?«
    »Das spielt doch keine Rolle, oder? Sollte irgendjemand einen Zusammenhang herstellen zwischen Auroras Verschwinden und dem ehemaligen NYU-Studenten, der glaubte, sie getötet zu haben, wäre Letzterer nicht mehr auffindbar. Ich existiere nicht mehr. Ein Junkie weniger, um den man sich Sorgen machen muss. Aber Sinclair Phelps? Egal wie Sie ihn suchen – mit Hilfe des besten Detektivs, des eifrigsten Dezernats für ungelöste Fälle, sogar wenn Sie ihn im Internet – wie heißt das heutzutage? – googeln, Sie finden nur einen bereits Verstorbenen ohne männliche Erben, der seine Heimatstadt Keene in New Hampshire so gut wie nie verlassen hat. Unter dem Namen Sinclair Phelps, Besitzer der größten Papierfabrik in der Region, sind im Internet so viele Seiten aufgelistet, dass ein Parkverwalter des Botanischen Gartens nicht einmal auf dem Bildschirm erscheint. Ich habe mir einfach eine neue Identität zugelegt.«
    Unten auf der Straße sah ich die Scheinwerfer und das Blaulicht eines blauweißen Streifenwagens.
    Phelps schubste mich in die Höhle, drückte mich gegen die Wand und hielt mir seine Schrotflinte an die Wange.
    »Man wird uns finden«, sagte ich. »Die Polizei hat alle möglichen Geräte, um ein Gelände wie dieses nach einer Leiche abzusuchen.«
    »Bin Laden hat man in seiner Höhle auch nicht gefunden, oder?«
    »Warum sind Sie hierher gekommen, Mr Phelps?«, fragte ich sanft. »Warum sind Sie Parkverwalter im Botanischen Garten geworden?«
    »Es ist die perfekte Lösung, finden Sie nicht auch? Zumindest war es das eine Zeit lang. Ich arbeite gern im Freien. Und besser könnte ich es auch als ein Phelps kaum haben. Ein Kutscherhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, umgeben von einem hundert Hektar großen Park. Hier habe ich Zeit für meine Gedichte, und Zeldin war mit seiner weltgrößten Sammlung von Poe-Literatur ein Geschenk des Himmels. Ich habe rund um die Uhr Zugang zu allen Privilegien des Rabenvereins. Das, Miss Cooper, ist nicht schlecht für jemanden, der sich seinen Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit
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