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Im Pfahlbau

Im Pfahlbau

Titel: Im Pfahlbau
Autoren: Alois Theodor Sonnleitner
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rief, beide Hände am Mund, mit aller Kraft: »Eva – Eee-va!« Der Wind schlug ihm seine langen, schwarzen Haare um das Gesicht und riß ihm die Worte vom Mund. Das größere Floß, auf dem er den Klammbachsee zu überqueren pflegte, lag unberührt zwischen dem Schwemmholz der Trift. Über den See war Eva nicht geflohen. In der Meinung, sie sei im Bach weiter aufwärts gewatet, lief er, immer wieder rufend, bis zu der Stelle, wo der Moorbach aus der Kalkhöhle trat und über das mit Algen und Moos bedeckte Urgestein als dünner Wasserfall niederplätscherte. Hier suchte er den mit Gras, Farn und Stauden bewachsenen Geröllboden nach Spuren ab – vergeblich.
    Da kam die alte Einäugel, triefend naß, aus dem Dickicht. Sie war durch den Moorsee ihrem Herrn nachgeschwommen und seinen Spuren gefolgt. Jetzt schüttelte sie sich das Wasser aus dem Pelz und sah ihn fragend an.
    Er trieb die Füchsin an: »Geh, Einäugel, such, such!« Und Einäugel begann zu suchen, kam aber mit hängender Lunte sichtlich verwirrt wieder zu ihrem Herrn zurück. Jetzt drängte sich Peter aufs Geratewohl durch das Gewirr von Haseln, Brombeeren und Waldreben, das den Laubwald bis zur Sonnleiten säumte. Eine Sandviper, die er unterwegs aufscheuchte, übersprang er und stürmte fort. Immer wieder ließ er seinen Ruf erschallen: »Eva! Eva!« Sie mußte ihn längst gehört haben! Da regte sich der Zorn in ihm. Verbissen brach er durchs Gestrüpp. Und schließlich verfiel er auf den Gedanken: Wenn Eva nicht antworten will, ihr Hund soll sie verraten! Er durchquerte den Wald, pfiff schrill und rief immer wieder: »Bläff! Bläff! Komm her! Bläff, komm her!« Endlich vernahm er ein heiseres Bellen. Es klang so fremd, so ängstlich, so ganz anders als das Gekläff, mit dem Bläff ihn zu begrüßen pflegte, wenn er vonder Jagd heimkehrte. Peter ahnte drohende Gefahr. Von Angst gehetzt stürmte er dahin, dem Gekläff nach.
    Bis zu den Knöcheln im Moor des Waldbodens versinkend, arbeitete er sich mit seinem Speer von einem liegenden Baumstamm zum anderen. Da – was war das? Ein markerschütternder Schrei zerriß die schwüle Luft des Urwalds – es war kein Wort, es war ein gellender Hilferuf! Dann aber klang es deutlich herüber: »Pe-ter Pe-ter!« Springend und stolpernd erreichte er die Lichtung, wo er vor Jahren die ersten Holzbirnen gefunden hatte. Da sah er hoch oben in der Baumkrone eines wilden Birnbaumes Eva auf einem dünnen Ast stehen, der sich unter ihrer Last bog. Mit gestreckten Armen hing sie am Geäst, und in bedrohlicher Nähe löste sich die Gestalt eines Bären vom Stamm. Vermochte das schwere Tier Eva auch nicht zu erreichen, es mußte sie zum Absturz bringen, wenn es ihm gelang, den Ast niederzubiegen oder zu knicken.
    Da sprang Peter vor mit dem Ruf: »Eva, halt dich fest!« Weit ausholend schleuderte er den wuchtigen Speer. Die spitze Waffe drang zwar dem Raubtier in die Weichteile, glitt aber im nächsten Augenblick, der eigenen Schwere folgend, zu Boden. Der verwundete Bär brüllte auf und fiel seitlich ins Gras. Während Peter nach seinem Speer griff, erhob sich auch sein Gegner auf die Hinterpranken und warf sich auf ihn. Das Messer in der Faust, jeden Muskel seines gedrungenen Körpers gespannt, rang Peter verzweifelt mit dem Bären. Im nächsten Augenblick saß eine Klinge zwischen den Rippen des Raubtieres, das im Fall den Jäger unter seiner Körperlast zu Boden drückte. Die Fangzähne des zu Tode Verwundeten drangen durch das Fellkleid in die Brustmuskeln seines Gegners, während sich die Krallen der Vordertatzen ins Fleisch seiner Oberarme bohrten. Peters Rechte löste sich vom Messergriff und sank schlaff herab. Die Augen starr emporgerichtet, schauteer zur Baumkrone auf. Er suchte Eva. Da sah er die schlanke Gestalt niedergleiten, von Ast zu Ast, das blasse Gesicht umweht vom fliegenden Haar. Gleich darauf fühlte Peter, daß der schwere Leib des Bären sich von ihm abwälzte. Eva bohrte die lange Speerspitze tief in die Brust des Braunen, der sich vergeblich gegen sie zu wenden versuchte.
    Erst als das Leben des Bären entwichen war, ließen Evas Hände den Speerschaft los. Peter lag regungslos; Blut quoll ruhig, aber stetig aus seinen Wunden und sickerte ins Moos. Mit bebenden Händen durchsuchte Eva Peters Gürteltaschen: Sie räumte sein Schlagfeuerzeug heraus, grobe Hornsteinsplitter und einen Funkenstein, eingewickelt in einen handtellergroßen Lappen Feuerschwamm. Den zerzupfte sie und drückte die
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