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Im Pfahlbau

Im Pfahlbau

Titel: Im Pfahlbau
Autoren: Alois Theodor Sonnleitner
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neuem, die Augen zu öffnen. Es gelang. Sein Blick fiel auf Eva, die errötend und lächelnd vor ihm stand. »Eva, bis du's?« begann er zu flüstern, »jetzt ist alles gut!« Da sagte sie leise: »Ja, Peter, alles ist gut, und ich bin dir auch gut.« Sie umklammerte seine Rechte mit beiden Händen und fuhr eindringlich fort: »Verzeih du mir, ich verzeihe dir alles, alles, und nichts mehr soll zwischen uns kommen; was mein ist, sei dein, was dein ist, sei mein. Ich danke dir mein Leben, und du dankst mir dein Leben. Wir sind die einzigen Menschen im Heimlichen Grund, und wir wollen einander liebhaben bis zum Tode. Hörst du, bis zum Tode!« Große Tränen rollten über Peters Wangen in den weichen, dunklen Bart. Er preßte ihre Finger und sprach nach: »Ja, bis zum Tode.«
    Müde schloß er die Augen. Sie aber zog die Milchschale heran, schob ihren linken Arm um Peters Nacken, hob seinen Kopf und führte mit der Rechten vorsichtig den bis zum Rand gefüllten Löffel an seine Lippen. Er schlürfte die noch laue Milch. In Evas Art, ihn zu betreuen, lag so viel mütterliche Zartheit und Strenge, daß er dankbar nachgab.
    Als Peter satt die Lippen schloß und Eva den müde gewordenen Arm unter seinem Nacken hervorzog, sank er in tiefen Schlaf und träumte seit vielen, vielen Jahren zum erstenmal wieder von seiner Mutter. Wie seltsam, daß sie Evas Züge trug! Leise schlich seine Pflegerin aus der Stube, frisches Futter für die Scheckin zu holen.
    Als sie wieder eintrat, fand sie Peter bewußtlos neben der Falltür in der Mitte der Stube. Bei ihrem Versuch, ihn aufzurichten, kam er zu sich und verlangte heftig, sie solle gehen, fort, fort, und den Bären suchen, der ihm die Kraftaus dem Leibe genommen hatte. Das Herz des Bären wolle er haben, essen wolle er es; darin waren ja die Kräfte des starken Feindes.
    Eva, die den Aberglauben des Verwundeten teilte, beeilte sich, seinen Wunsch zu erfüllen. Aber erst nachdem sie Peter zu Bett gebracht hatte, konnte sie den Pfahlbau verlassen. Es kostete sie schwere Mühe, das dicke Fell des Bären zu schlitzen und seinem Brustkorb das Herz und die Lunge zu entnehmen. Das Abhäuten mußte sie auf den nächsten Tag verschieben. Während sie über die abendliche, mattleuchtende Fläche des Moorsees heimwärtsfuhr, war ein großer Jubel in ihr. Sie brachte ja das Heilmittel, das Peter seine Kraft zurückgeben sollte. Und sie überlegte, wie sie das Herz des Bären feingeschnitten mit Gundelkraut, wildem Kümmel, Salz und Schwadenkornschrot zubereiten und in duftender Tunke ihm vorsetzen wollte.
    Als sie mit der Ampel an Peters Lager trat, schien er sie gar nicht zu sehen. Seine glänzenden Augen schauten an ihr vorbei, seine Wangen glühten, und seine Lippen murmelten Unverständliches. Während Eva das Bärenherz zubereitete, suchte ihre angstgepeinigte Seele Zuflucht bei der Ahnl und beim Allmächtigen.
    Als sie mit dem Essen an Peters Lager trat, kehrte sein Bewußtsein zurück. Während er noch am ersten Bissen kaute, mahnte er: »Iß auch du, Everl, und gib der Einäugel was und auch dem Schnapp. Wir alle brauchen es.« Dann wurde er still und schlief lächelnd ein. Evas Nähe tat ihm wohl.
    Sie wachte die ganze Nacht am Lager des Kranken. Und während sie seinen gleichmäßigen Atemzügen lauschte, erstarkte ihre Zuversicht, daß er in ihrer Obhut gesunden werde. Auf die stillen Wochen, in denen der Genesende ihrer Fürsorge bedurfte, baute sie die Hoffnung, daß es ihr gelingen werde, ihn so zu machen, wie sie ihn haben wollte.
    Und dann, wenn er gesund war, wollte sie ihn ins Heiligtum ihrer alten Wohnhöhle führen. Dort wollte sie vor Gott feierlich das Gelöbnis wiederholen, das sie beide nicht mehr vergessen sollten: »Wir wollen einander gut sein bis zum Tode.«
     

Impressum
    AUTOR: Dr. A. Sonnleitner
ERSCHEINUNGSJAHR: 1935
VERLAG: Kosmos, Stuttgart
AUFLAGE: 91. Auflage
     
    ebook Erstellung - April 2010 - TUX
     
    Ende
     
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