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Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Titel: Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
Autoren: Ian Rankin
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dessen Mutter im Schneidersitz vor ihrem Zelt saß und dem Kind zusah.
    »Wie viele Leute sind denn hier?« Siobhan fiel es schwer zu schätzen.
    »Vielleicht tausend. Morgen werden es mehr sein.«
    »Zählen Sie sie denn nicht?«
    »Nein, und die Namen halten wir auch nicht fest – deshalb kann ich Ihnen gar nicht sagen, wo Sie Ihre Freunde finden können. Das Einzige, was wir von ihnen verlangen dürfen, ist die Platzgebühr.«
    Siobhan schaute sich um. Der trockene Sommer hatte die Erde fest werden lassen. Hinter der Silhouette aus Mietskasernen und Wohnhäusern konnte sie andere, ältere Umrisse erkennen: Holyrood Park und Arthur’s Seat. Sie hörte leisen Gesang, ein paar Gitarren und Tin Whistles. Kinderlachen und ein Baby, das seine nächste Mahlzeit verlangte. Händeklatschen und Geplapper. Das alles wurde plötzlich durch ein Megafon zum Verstummen gebracht, das ein Mann in der Hand hielt, der seine Haare unter einen riesigen, flauschigen Hut gestopft hatte und eine an den Knien abgeschnittene Patchworkhose und dazu Flipflops trug.
    »Großes weißes Zelt, Leute – da passiert’s! Gemüsecurry für vier Pfund, ein großes Dankeschön der hiesigen Moschee. Nur vier Pfund …«
    »Vielleicht finden Sie sie dort«, sagte Siobhans Führer. Sie bedankte sich, und er kehrte an seinen Platz zurück.
    Das »große weiße Zelt« war ein Festzelt und schien als allgemeiner Treffpunkt zu dienen. Eine andere Stimme verkündete nun, eine Gruppe würde auf einen Drink in die Stadt gehen. Man treffe sich in fünf Minuten bei der roten Fahne. Siobhan war an einer Reihe mobiler Toiletten, Wasserhähne und Duschen vorbeigekommen. Jetzt konnte sie nur noch die Zelte absuchen. Am Curry standen die Leute in einer ordentlichen Schlange an. Jemand versuchte, ihr einen Plastiklöffel in die Hand zu drücken. Sie lehnte erst ab, aber dann fiel ihr ein, dass sie schon eine ganze Weile nichts mehr gegessen hatte. Mit einem Berg Curry auf ihrem Plastikteller beschloss sie, einen gemächlichen Spaziergang durch das Lager zu machen. Viele Leute bereiteten Essen auf ihren Campingkochern zu. Jemand deutete auf sie.
    »Erinnerst du dich an mich, aus Glastonbury?«, riefen manche. Siobhan schüttelte nur den Kopf. Und dann entdeckte sie ihre Eltern und musste unwillkürlich lächeln. Sie waren Camper mit Stil: ein großes rotes Zelt mit Fenstern und einem Vorzelt. Klapptisch und -stühle sowie eine geöffnete Flasche Rotwein mit Gläsern daneben. Sie standen auf, als sie sie sahen, umarmten und küssten sie und entschuldigten sich dafür, dass sie nur zwei Stühle mitgebracht hatten.
    »Ich kann auf dem Boden sitzen«, versicherte Siobhan ihnen. Eine andere junge Frau tat das bereits. Sie hatte sich bei Siobhans Ankunft nicht von der Stelle gerührt.
    »Wir haben Santal gerade von dir erzählt«, sagte Siobhans Mum. Eve Clarke sah jünger aus, als sie war, nur die Lachfalten verrieten ihr wahres Alter. Von Siobhans Vater Teddy konnte man das nicht behaupten. Er hatte einen Bauch bekommen, und die Haut seines Gesichts hing schlaff herunter. Seine Geheimratsecken waren größer geworden, sein Pferdeschwanz dünner und grauer. Den Blick ständig auf die Flasche gerichtet, füllte er genüsslich die Weingläser nach.
    »Santal war sicher begeistert«, erwiderte Siobhan und nahm ihm ein Glas ab.
    Die junge Frau zeigte den Hauch eines Lächelns. Ihre Haare waren schulterlang, schmutzigblond und gegelt oder einfach ungepflegt, denn sie standen ihr in Büscheln vom Kopf ab. Kein Make-up, aber mehrere Piercings an den Ohren und eins seitlich an der Nase. Ihr ärmelloses und bauchfreies dunkelgrünes T-Shirt gab den Blick auf keltische Tattoos an den Schultern und ein weiteres Piercing am Nabel frei. Ihren Hals zierten etliche Ketten, und ein bisschen tiefer hing etwas, das wie eine digitale Videokamera aussah.
    »Sie sind Siobhan«, sagte sie mit einem leichten Lispeln.
    »Ich fürchte, ja.« Siobhan prostete allen zu. Inzwischen war aus einem Picknickkorb neben einem weiteren Weinglas eine zweite Flasche zum Vorschein gekommen.
    »Nun mal langsam, Teddy«, mahnte Eve Clarke. »Ich muss Santal nachschenken«, erklärte er, obwohl deren Glas, wie Siobhan bemerkte, noch fast so voll war wie ihr eigenes.
    »Seid ihr drei zusammen gekommen?«, fragte sie.
    »Santal ist von Aylesbury aus per Anhalter gefahren«, antwortete Teddy Clarke. »Nach der Busfahrt, die wir hinter uns haben, werden wir es beim nächsten Mal, glaube ich, genauso machen.« Er
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