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Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Titel: Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
Autoren: Ian Rankin
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übrig blieb. Manche Beamte hatten Kameras dabei, um die Gesichter von ankommenden Zugreisenden aus London festzuhalten. Für die Demonstranten waren Sonderzüge eingesetzt worden, was ihre Identifizierung erleichterte. Allerdings brauchte man dazu ohnehin keine besonderen Fähigkeiten: Sie sangen Lieder, hatten Rucksäcke geschultert, trugen Abzeichen und T-Shirts und Armbänder. Sie brachten Fahnen und Transparente mit und hatten ausgebeulte Hosen, Tarnjacken und Wanderschuhe an.Geheimdienstberichten zufolge waren ganze Busladungen bereits im Süden Englands aufgebrochen. Erste Vermutungen waren von fünfzigtausend ausgegangen. Die neueste Schätzung sprach von über hunderttausend. Was die Bevölkerung von Edinburgh, zählte man die Sommertouristen noch dazu, erheblich anwachsen lassen würde.
    Irgendwo im Zentrum fand eine Kundgebung statt, die den Beginn der G8 Alternatives, einer einwöchigen Reihe von Protestmärschen und Versammlungen, markierte. Dort würde die Polizei noch stärker vertreten sein. Falls nötig, auch mit berittenen Polizisten. Und mit vielen Hundeführern, einschließlich der vier in der Halle der Waverley Station. Der Plan war einfach: Präsenz zeigen. Potenzielle Unruhestifter wissen lassen, womit sie es zu tun haben würden. Visiere, Schlagstöcke und Handschellen; Pferde, Hunde und Einsatzwagen.
    Zahlenmäßige Stärke.
    Handwerkszeug.
    Taktik.
    In seiner früheren Geschichte war Edinburgh anfällig für Invasionen gewesen. Seine Bewohner hatten sich hinter Mauern und Toren verschanzt und, wenn diese durchbrochen worden waren, in den labyrinthartigen Tunnel unter der Burg und der High Street versteckt und so dem Feind den Sieg über die menschenleere Stadt überlassen. Dieses Talent setzten die Edinburgher später auch bei dem jährlichen Festival im August ein. Wenn die Bevölkerungszahl kurzfristig anstieg, wurden die Einheimischen weniger sichtbar, passten sich gleichsam dem Hintergrund an. Das erklärte vielleicht auch das Vertrauen der Stadt in »unsichtbare« Industrien wie das Bankund Versicherungswesen. Bis vor kurzem hatte es noch geheißen, der St Andrews Square, Sitz mehrerer großer Firmen, sei die reichste Straße in Europa. Angesichts der hohen innerstädtischen Grundstückspreise waren auf der Lothian Road und weiter westlich Richtung Flughafen neue Bauten aus dem Boden geschossen. Das erst kurz zuvor fertiggestellte internationale Hauptquartier der Royal Bank in Gogarburn galt als mögliches Ziel. Ebenso Geschäftsgebäude von Standard Life und Scottish Widows. Während sie gemächlich durch die Straßen fuhr, wurde Siobhan klar, dass die Stadt in den nächsten Tagen einer noch nie da gewesenen Herausforderung gegenüberstehen würde.
    Ein Polizeikonvoi scherte mit Sirenengeheul aus, um sie zu überholen. Das schuljungenhafte Grinsen im Gesicht des Fahrers sprach Bände: Jede Minute genießend, betrachtete er Edinburgh als seine private Rennstrecke. Ein dunkelroter Nissan voll einheimischer Jugendlicher hielt sich in seinem Windschatten. Siobhan wartete zehn Sekunden, dann blinkte sie, um sich wieder in den Verkehrsfluss einzureihen. Sie war auf dem Weg zu einem provisorischen Zeltplatz in Niddrie, einer von Edinburghs weniger vornehmen Gegenden. Statt sie ihre Zelte in den Gärten der Leute aufstellen zu lassen, hatte man die Demonstrationsteilnehmer dorthin gelotst.
    Niddrie.
    Der Stadtrat hatte das Grasland rund um das Jack Kane Centre ausgesucht. Die Planung ging von zehntausend, vielleicht sogar fünfzehntausend Besuchern aus. Man hatte mobile Toilettenhäuschen und Duschen aufgestellt und einen privaten Sicherheitsdienst beauftragt. Vermutlich eher, dachte Siobhan, um die Banden aus dem Viertel draußen als die Demonstrationsteilnehmer drinzuhalten. Hier erzählte man sich den Witz, dass in den kommenden Wochen um die Pubs herum wahrscheinlich jede Menge Zelte nebst Campingausrüstung zu erstehen sein würden. Siobhan hatte ihren Eltern angeboten, bei ihr zu wohnen. Klar, schließlich hatten sie ihr ja beim Kauf der Wohnung finanziell unter die Arme gegriffen. Sie hätten ihr Bett haben können; sie selbst hätte mit dem Sofa vorliebgenommen. Doch sie hatten dankend abgelehnt: Sie würden mit dem Bus anreisen und »mit den anderen« zelten. Sie hatten in den Sechzigerjahren studiert und diese Phase letztlich nie hinter sich gelassen. Obwohl sie jetzt auf die sechzig zugingen – Rebus’ Generation -, band ihr Vater sich die Haare immer noch zu einer Art
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