Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen
Autoren: Christine Béchar
Vom Netzwerk:
Lebensunterhalt sorgen müssen, erst nach dem Tod meines Vaters. Außerdem hat mir Jeremy sehr geholfen. New York hätte ich mir ohne seine finanzielle Unterstützung gar nicht leisten können. Wie du siehst, habe ich mir auch nicht alles allein erarbeitet, aber London möchte ich unbedingt ohne meinen Bruder packen.“ Er schaute auf die Uhr. „Es ist bereits spät. Ich würde gerne zur Agentur gehen. Mal sehen, ob sie einen Job für mich haben. Nach meinem Rückzieher von neulich möchte ich nicht den Eindruck erwecken, dass ich kein Interesse mehr habe. Außerdem ist die Inhaberin sehr nett, sie hat einen Lieferwagen. Vielleicht kriegen wir den, um die Palme zu holen. Wenn ich an die Bäume aus eurem Wohnzimmer denke, gehe ich davon aus, dass du nach etwas Größerem strebst.“
    „ Sie muss nicht riesig sein.“
    „ Aber auch nicht winzig.“
    „ Nein, eine mittelgroße Palme halt.“
    „ Dachte ich mir doch! Ich fahre nicht mit einem Clio los, um einen Baum zu kaufen.“
    Er holte sein Handy raus, um ein zweckmäßiges Fahrzeug zu organisieren.
     
    Christiane, die Direktorin der Agentur, musste Anfang vierzig sein. Sie erwies sich als sehr fröhlich und extrovertiert, um nicht zu sagen ein wenig extravagant. Wir kannten uns nicht und dennoch umarmte sie mich warmherzig und nannte mich „meine Liebe“. Sie freute sich, dass ich mich von meinem Sturz erholt hatte. Nicht darauf vorbereitet stotterte ich, dass es mir in der Tat wieder gut ging. Christiane war zuversichtlich, dass sie Yannick bald ein Fotoshooting vermitteln könnte, und sehr enttäuscht darüber, dass ich mich nicht für ihre Kartei ablichten ließ.
     
    Eine Pflanze zu finden, die beiden zusagte, war eine leichte Aufgabe. Wir einigten uns sofort auf eine zwei Meter hohe Yucca. Den passenden Übertopf auszusuchen erwies sich schon als schwieriger. Mein Blick wurde ständig von Rundungen und Terrakotta angezogen, Yannicks von Metall oder glänzender Keramik, in Schwarz oder Weiß – versteht sich. Ich musste zugeben, dass der Topf, der ihm am besten gefiel – anthrazitfarbig und eckig – viel besser in seine Wohnung passte. Von einer finanziellen Beteiligung meinerseits wollte er nichts hören. Ich sollte die Palme als Begrüßungsgeschenk betrachten. Wir hatten die größte Mühe, den Baum in den Lieferwagen zu verfrachten, und es gelang uns nicht, ohne viel Dreck zu machen.
    Als ich schließlich in den Wagen einsteigen wollte, packte mich Yannick am Arm.
    „ Lilly, was bedeutet für dich der Jura?“
    Perplex fragte ich mich, woher dieses plötzliche Interesse. Wieso ausgerechnet hier und jetzt, auf diesem Parkplatz?
    „ Was weiß ich?! Vor drei Wochen hätte ich gesagt: meine Kindheit, Urlaub bei meiner Großmutter. Heute denke ich natürlich an uns, wie wir uns kennengelernt haben. Ich habe die Kletterfelsen vor Augen, den Wasserfall, die Spaziergänge, das Motorradfahren auf kurvigen Straßen. Wieso?“
    „ Ist das ein Ort, an den du gern zurückkehrst?“
    „ Natürlich, jederzeit. Warum fragst du? Möchtest du lieber wieder in die Berge?“
    „ Nein, zumindest nicht im Moment. Ich frage nur, weil ich schon länger mit dem Gedanken spiele, das Haus zu verkaufen. Deshalb habe ich die Wohnung auch nie renoviert. Wenn ich jetzt jemanden habe, der meine Vorliebe für diese Gegend teilt, wäre es ausgesprochen doof, sich von dem Haus zu trennen. Was würdest du davon halten, wenn wir nach und nach alles in Schuss bringen? Es ist ein Jammer, nur ein Zimmer zu benutzen, wenn vier zu Verfügung stehen.“
    „ Vier? ... Das ist … Das ist eine sehr gute Idee, … finde ich.“
    „ Ich dachte, wir könnten mit dem Wohnzimmer anfangen, gegenüber der Küche. Dann hätten wir schon zwei Räume. Ich möchte, dass du die Möbel aussuchst, damit du ein Zimmer hast, in dem du dich wirklich wohlfühlst.“
    Er hatte mich sprachlos gemacht. Seine Lippen ergriffen meine, ehe mir etwas dazu einfiel. Dann nahm er mich an der Hand und zog mich zu einem Möbelgeschäft.
    „ Heute kaufen wir nichts. Wir gucken nur“, warnte er mich mit einem Lächeln.
    „ Gucken und anfassen“, fügte ich grinsend hinzu.
    „ Diesmal ist anfassen erlaubt, sogar erwünscht.“
    Abgesehen von den weißen und schwarzen Möbeln, vom Metall und vom Glas, stellte ich fest, dass unsere Geschmäcker gar nicht so weit auseinanderlagen. Wir entdeckten zeitgleich ein riesiges Sofa im Kolonialstil mit unendlich vielen Kissen. Wir schauten uns an und warfen uns lachend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher