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Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Titel: Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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eisbehauchter Intellekt sich auf sein Leben senkte, auf seine Kreativität. Er fühlte sich unendlich schwer.
    "Maria, ich habe zu arbeiten", sagte er. "Kannst du dich nicht einfach aus meinem Leben heraushalten?"
    "Nein!", sagte sie und hängte ein.
    Gerd hatte in seiner Ehe erlebt, dass Maria ständig da war, irgendwie. Und gleichzeitig war sie immer ganz fern gewesen, eine Art permanenter kalter Durchzug.
    Die schwarzen Reiter, so nannte er seine Depressionen, hatten ihn immer mehr eingeholt, bevor er endlich die Kraft gefunden hatte, sich zu trennen. Aber Maria war jetzt nach der Trennung immer noch nicht ganz aus seinem Leben ausgezogen. Er hatte bisher kein Mittel dagegen gefunden. Er flüchtete sich in die Arbeit.
    Was meinte Günter Gerritmen mit: "Auf der Pelle hängen"? Meinte er wirklich direkten Hautkontakt, den seine Frau anstrebte, meinte er seelische Nähe und Offenheit füreinander? Hatte seine Frau die direkte Korrespondenz der Körperzellen miteinander angestrebt, die in großer Intimität möglich ist? Und was war daran schlimm? Für Günter war es jedenfalls so schlimm, dass es ihn dazu brachte Gerd zu schreiben. Offenbar setzte ihn die drohende Nähe seiner Frau unter enormen Druck.
    Gerd kannte diese allgemeinen Theorien über die panische Angst der Männer vor dieser alles verschlingenden Urmutter, dem weiblichen Chaosdrachen, der tiefen See. Männerphantasien!
    Aber vielleicht war doch etwas Gefährliches an dieser Frau persönlich? Gerd schüttelte den Kopf. Würde sich das Gefährliche in roten Schuhen, in Gesprächen über Sex, in erotischen Avancen, in Bedürfnissen nach Hautkontakt äußern?
    Nein, nein! Günter projizierte tief sitzende Männerangst vor intimer Nähe auf seine Frau. Die Abwehr in Form von Erschöpfung wollte etwas andere s, als diese reale Frau auf Distanz halten, etwas, das partriarchale Tiefenpsychologen selbst erfunden hatten, um von dem eigenen männlichen Schrecklichen abzulenken.
    Günter selber war das Problem.
     
    *****
    11. September gegen 11.00 Uhr
    Gerd begann eine Mail an Günter zu entwerfen:
    "Sehr geehrter Herr Gerritmen,
    Sie haben den richtigen Zeitpunkt genutzt, um sich therapeutischen Rat zu suchen. Tatsächlich erkennen sie richtig: Ihr Familiensystem ist im Umbruch, in der Weiterentwicklung begriffen. Die entscheidende Frage ist: Wollen Sie an der Entwicklung teilhaben? Ihre Kinder sind größer und erwachsener geworden, Ihre Frau formt eigene Interessen aus. Sie alle nutzen die offensichtlich solide Grundlage der Familie zur Ich-Werdung. Was ist mit Ihnen? Sie sind jetzt 51 Jahre alt. Sie dürfen sich zu Recht fragen, ob Sie so weiterleben wollen wie bisher. Wollen Sie dem Beruf weiter soviel Aufmerksamkeit schenken? Oder gibt es da noch andere tief sitzende Interessen und Bedürfnisse, die durch Ihre bisherige Pflichterfüllung gegenüber der Familie und Ihrem Interesse am Beruf verdeckt, womöglich verschüttet wurden?
    Die andere Frage, die Sie sich bitte stellen wollen, ist: Wie stark ist Ihr Interesse an Ihrer Frau wirklich? Ihre Darstellung kann man auch so verstehen, dass Sie sich ein Leben mit Abstand zu Ihrer Frau arrangiert haben. Sie arbeiten viel, haben damit immer gute Gründe für den Abstand zu Ihrer Frau und Ihren Kindern. Dieses Arrangement hält die Beziehung aus Ihrer Sicht zusammen. Aber aus der Sicht Ihrer Frau auch? Es geht um eine subtile Form der Abwehr von gleichberechtigten Interaktionen zwischen Ihnen und Ihrer Frau. Befinden sich bei Ihnen unter der Abwehr auch noch menschlich-positive Gefühle für Ihre Frau?
    Sie sind mein Klient, und mir geht es darum, mit Ihnen gemeinsam herauszufinden, was Sie wirklich wollen. Ich halte es für wichtig, dass Sie gegenüber dem Beruf, gegenüber der Familie, gegenüber Ihrer Frau aus der Abwehr, der Defensive, heraus- und wieder in die aktive Position kommen."
    Gerd las noch einmal alles durch. Er hatte ein völlig stimmiges Gefühl in sich. Die eine oder andere Kleinigkeit verbesserte er noch. Dann seufzte er befriedigt und sandte die E-Mail ab.
    Gerd glaubte nicht, was er sah. Postwendend war Günters Antwort gekommen und merzte sofort jede Hoffnung auf eine therapeutische Lösung aus.
    Gerritmen schrieb: "Sie will mich verlassen, sagt sie. Ich könnte sie umbringen. Meine Wut steigt und steigt. Was soll ich nur tun?"
    Nicht die Spur einer Chance, in die aktive Rolle zu kommen, dachte Gerd. Diese Frau war Günter um zehn Schritte voraus. Und insgeheim dachte er: Ist das nicht oft
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