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Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Titel: Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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ausgelöst wird, verloren ging. Es ist aufschlussreich, welche Mimik, welche Gestik diesen oder jenen Satz begleitet oder aber bei diesem oder jenem ausbleibt. Die Intuition des Beraters, angeregt durch die sinnlichen Wahrnehmungen, würde bei der Beschränkung auf das geschriebene Wort, ausgeschaltet. Aber Gerd hatte auch gelernt: Die Worte, die einer benutzte, konnten offenbaren oder aber verbergen. Und genau das konnten Mimik und Gestik auch. Gerd meinte verstanden zu haben, dass er Wahrheit und Lüge, Illusion und Wirklichkeit im puren Wort besser unterscheiden konnte. Dieses Blatt Papier vor ihm bot ihm nur Wörter an. Und das war gut so, das tat ihm gut. Seine beraterische Qualität lag in der Beschränkung.
    Er las: "Meine Frau hat sich enorm verändert." War eine Veränderung der Person überhaupt in dieser Beziehung vorgesehen gewesen? Sind Veränderungen in Beziehungen überhaupt vorgesehen? Die Partner reagieren auf die sich verändernde Umwelt. Und was hatte sich in den letzten 20 Jahren alles verändert.
    Diesmal war es ein wirklich fremdes Geräusch, das ihn aufschrecken ließ. Gerd hatte davon gehört, aber es noch nie in diesem Haus gehört. Es kam von oben, ein Knacken und Knicken, ein Scharren und Schleifen, bei weitem nicht so aufdringlich wie das Klatschen des Wassers im Bad, in seiner eigenartigen Sanftheit aber noch geheimnisvoller. Gerd stand auf, sah zur Decke hinauf, als wenn er sie mit seinen Blicken durchdringen konnte. In Wirklichkeit versuchte er unbewusst wie seine Neandertalvorväter die Ohren in Richtung der Gefahrenquelle zu drehen.
    Über ihm lagen Schlafzimmer, Gästezimmer und das große Bad. Gerd stieg die Treppe empor. Das Geräusch wurde lauter. Aber im ersten Stock erkannte er sofort, dass das Geräusch von noch weiter oben kam. Und jetzt war ihm auch klar, was es war: Mäuse. Gerd überlegte, dass die Vorzeichen des Winters sie hereingetrieben haben mussten. Er hatte das schon oft gehört, bei diesen unsäglichen Nachbarschaftsfeiern, bei Geburtstagen und ähnlichen Anlässen, wenn leidgeprüfte Hausbesitzer sich unterhielten. Sie erzählten von riesigen Spinnen und unzähligen Mäusen. Ratten bildeten gewissermaßen das erzählerisch-dramaturgische Highlight, während Igel, die durchaus nicht selten in den hübschen Gärten und vor den Häusern auftauchten, eher als "süß" bezeichnet wurden. Sie alle suchten die Wärme der Häuser. Ungeklärt blieb jeweils die Frage, wie die Mäuse es schafften, ungesehen auf die Dachböden zu kommen. Sie waren jedenfalls plötzlich da, und man wusste, jetzt wird es kalt, jetzt wird es Winter.
    Langsam zog Gerd die Bodenklappe des Speichers herab, und damit zugleich die ausziehbare Leiter. Er stieg empor, ein mulmiges Gefühl tief im Magen. Ganz langsam schob Gerd seinen Kopf durch die Öffnung zum Speicher und zuckte zurück.
    Von Mäusen keine Spur. Der Dachboden war völlig leer. Da er ein aufgeräumter Mensch war, hatte die Sperrmüllabfuhr ständig zu tun, aber nur mit jeweils kleinen Mengen. Er trennte sich gern von Dingen, die er nicht mehr brauchte. Auf dem Dachboden war nichts, was hätte knacken und knicken, scharren oder schleifen können. Was da geknackt hatte, war nicht durch den Fuß eines Einbrechers hervorgerufen worden. Der Dachboden war völlig vereist. Weiße Kristalle glänzten im Licht der spärlichen Beleuchtung. Sie hatten alles, aber auch wirklich alles, überzogen. Weiße Fahnen bildeten sich vor Gerds aufgeregt atmendem Mund.
    Gerd zog die Deckenklappe wieder zu. Er wusste genau, was er davon halten sollte. Es ging wieder los. Es hatte ihn schon einmal erfasst. Schon Monate vor seiner Trennung und späteren Scheidung hatte es mit körperlichen Symptomen angefangen, Magenbeschwerden, Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen, Schmerzen im Nacken und in den Schultern, Schlafstörungen und Angst. Und die Angst hatte zu gestörten Wahrnehmungen geführt. Er, Gerd, sehr groß, sehr stark und sportlich, hatte plötzlich vor allem und jedem Angst. Er war zu allen möglichen Ärzten gegangen, die ihm in der Regel mit Psychopharmaka, diversen Vitaminpräparaten und den väterlichen Hinweisen: "Mehr Ruhe! Mehr Ausgleich! Weniger Stress!", auf die Beine helfen wollten. Er hatte vieles beherzigt, viele Pillen geschluckt und hatte regelrechte Halluzinationen dafür geerntet, bis dahin, dass der Staubsauger anfing, mit ihm zu sprechen, was ihm um ein Haar einen Herzinfarkt eingebracht hätte. Schließlich hatte er getan, was er von
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