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Im Land der tausend Sonnen

Titel: Im Land der tausend Sonnen
Autoren: Patricia Shaw
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weil er sich keine Wohnung leisten konnte.«
            Der Beutel enthielt zwei billige lederne Brieftaschen. In der einen befanden sich nur Papiere, in der anderen Briefe und Dokumente, doch ganz unten im Beutel stieß er dann auf eine Geldbörse.
            »Hallo! Dem Gewicht nach zu urteilen bin ich auf eine Goldader gestoßen. Ah ja …« Er zählte die Münzen auf die Strohmatratze.
            »Wir haben hier sechzig Mark, Freddy, und du behauptest, arm zu sein. Konntest für Otto lediglich etwas Brot und Wurst erübrigen. Schämen sollst du dich! Doch: Wo zum Teufel … wollte sagen, wo auf Gottes schöner Welt ist dieses Land, von dem du erzählt hast? Irgendwo jenseits eines Ozeans. Aber welchen Ozean meintest du? Und wie lange dauert die Reise in dieses Traumland?«
            Es klopfte an der Tür. Er öffnete und sah sich zwei Seemännern mit einer großen Holzkiste gegenüber.
            »Gehört die Ihnen, Vikar Ritter?«
            »Aber ja. Der Name steht doch drauf, klar und deutlich. Schieben Sie sie einfach rein.« Er lächelte breit, ein geübtes, gewinnendes Lächeln, das seine Augen blitzen ließ.
            »Danke, meine Herren, herzlichen Dank. Übrigens, Australien. In welchem Hafen legen wir an?«
            »In Maryborough.«
            »Und wie lange dauert die Reise?«
            Der ältere Seemann übernahm die Rolle des Wortführers. »Schwer zu sagen. Die Clovis ist ein schnelles Schiff. Wenn alles gut geht, dürfte sie es in drei Monaten schaffen, vielleicht eine Woche mehr oder weniger. Februar, schätze ich. Ja, das dürfte hinhauen.«
            Er schloss die Tür hinter den Männern. »Hast du das gehört?«, zischte er. »Sind die wahnsinnig? Befinde ich mich auf einem Narrenschiff? Fahren monatelang auf dem Meer herum. Das kann doch nicht wahr sein! Und was ist in dieser Kiste? Wozu braucht ein Vikar eine Kiste voller Kleidung?« Doch sie enthielt nicht viel an Kleidung, abgesehen von Nachthemden und Mützen. Hauptsächlich waren Bücher in der Kiste, Bibeln, dicke Bände über spirituelle Führung, lutherische Gebet- und Gesangbücher und theologische Aufsätze, alle gut verpackt zwischen Haushaltsgegenständen: Bettleinen, Besteck, Teller, kleine Lampen, Kochtöpfe und sogar ein verzierter Nachttopf aus Porzellan. Grinsend stellte er das gute Stück auf den Boden.
            »Du reist wie eine junge Braut, Freddy, aber einiges von diesem Kram wird immerhin unserer Bequemlichkeit dienen. Die Bettwäsche zum Beispiel. Ich habe seit einer Ewigkeit kein sauberes Laken mehr gesehen.« Die weitere Suche förderte ein paar wunderschön bestickte Altartücher, sorgfältig in geistliche Gewänder verpackt, zu Tage.
            »Die muss ich irgendwann einmal anprobieren. Jetzt sollte ich diesen Kram aber besser sorgfältig wieder einpacken; auf die Amtstracht muss man stets gut Acht geben. Aber wirklich, Freddy! Sie hätten dir doch wenigstens ein bisschen Messwein mit auf den Weg geben können.«
            Er schloss die Kiste und rückte sie an die Wand, wo sie ihm als Tisch dienen sollte, dann trat er dagegen.
            »Himmel! Monate in dieser schaukelnden Kiste. Wir werden den Verstand verlieren, wenn wir so lange auf diesem Kahn festsitzen. Klipper sind doch angeblich schnelle Schiffe. Unser Pech, dass wir ausgerechnet das langsamste von allen erwischen mussten, voller verrückter Matrosen, die offenbar nicht wissen, was Geschwindigkeit ist.«
            Er hörte den dumpfen Ton eines Nebelhorns und das durchdringende Läuten der Schiffsglocke und ließ sich stöhnend auf die Pritsche sinken. »Wir segeln immer noch flussabwärts, haben uns noch kaum von der Stelle gerührt. Monate! Vielleicht sollten wir im erstbesten Hafen von Bord gehen. Am besten gehe ich mal hinauf und erkundige mich, was los ist.«
            Sorgfältig angekleidet und majestätisch in den Mantel gehüllt, kramte er den runden Velourshut hervor, der ihn als Diener Gottes auswies. Dann blieb er an der Tür stehen, in den Kulissen sozusagen, und bereitete sich auf seinen Auftritt vor. Er senkte den Kopf, faltete die Hände, knickte in den Knien ein und richtete die Zehen ein wenig einwärts. Die Stimme senkte er auf einen sanfteren Ton, befleißigte sich einer vornehmeren Aussprache und redete in einem weinerlichen Singsang, als stünde er auf der Kanzel.
            »Guten Abend, gnädige Frau,
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