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Im Land der tausend Sonnen

Titel: Im Land der tausend Sonnen
Autoren: Patricia Shaw
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kühn aufs Geratewohl Türen öffnete und zur Entschuldigung vorgab, sich verirrt zu haben, konnte er Blicke in die Kabinen werfen, dann schlenderte er zu einem Musikzimmer, vorbei an einem glänzend polierten Klavier, und betrachtete, über alle Maßen erzürnt, das gut gefüllte Bücherregal an einer der Wände.
            Auf einem Tisch fand er starr vor Schreck eine liegen gebliebene Speisekarte, die ihm das Menü des vergangenen Abends offenbarte: sechs Gänge, verschiedene Weine und Käsesorten, ein Menü, so großartig wie in einem renommierten Restaurant in der Stadt! Und diesen Menschen stand tagaus, tagein ein solcher Überfluss zur Verfügung! Er begab sich auf die Suche nach dem Speisesaal und fand wie erwartet die Tische glitzernd und funkelnd fürs Mittagessen eingedeckt.
            Ein Offizier trat auf ihn zu. »Kann ich helfen?«
            »Ja. Offenbar habe ich mich verirrt.«
            »Ich verstehe. Darf ich Sie zu Ihrer Kabine geleiten? Ich glaube, Sie wohnen in der zweiten Klasse.«
            »Genau. Aber all diese Gänge sind wie ein Labyrinth. Könnten Sie mir sagen, wo wir uns jetzt befinden? Das Schiff, meine ich.«
            »Wir nähern uns der Elbmündung, und bald segeln wir schon über die Nordsee.«
            »Und dann?«
            »Dann fahren wir nach Süden, wärmeren Zonen entgegen.«
            »Ah ja. Natürlich.«
            Sie stiegen die Treppenfluchten zu den niedrigeren Klassen hinunter, wie der Vikar zornig bemerkte. »Welche Sprache spricht man in Australien?«, fragte er.
            »Vorwiegend Englisch. Die Eingeborenen haben ihre eigenen Sprachen.«
            »Kein Deutsch?«
            »Nur sehr wenig.«
            »Wie schade.«
            »Sobald die Passagiere sich ein wenig eingelebt haben, bieten wir in jeder Klasse Englischunterricht an. Zweimal pro Woche. Das ist den Leuten eine große Hilfe.«
            Er straffte sich, um zu erwidern: »Ich beherrsche das Englische bereits recht gut, danke.« Obwohl er genau wusste, wo er sich befand, schaute er sich in gespielter Ratlosigkeit um. »Wo sind wir bloß?«
            Der Offizier öffnete eine Tür und wies mit einem Blick auf ein Schild über ihm. »Ihre Kabine befindet sich auf diesem Deck, mein Herr. Sie dürfen sich nur jenseits dieser Tür aufhalten, hier haben die Passagiere der zweiten Klasse nichts zu suchen.«
            »Du liebe Güte, wahrhaftig.« Er tappte still von dannen, die Hand, die das Gebetbuch hielt, auf dem Geländer, die andere an die Brust gedrückt, als hielte er seinen Mantel geschlossen. »Kabine!«, murrte er, nicht zum ersten Mal. Er wusste inzwischen, dass es sich lediglich um ein abgeteiltes Plätzchen handelte, dass über ihm prachtvolle Kabinen lagen, die einem Prinzen genügt hätten.
            Trotzdem ging er lächelnd seines Wegs. »Du wirst dich wundern, was ich hier habe, Freddy.«
            Mit einer theatralischen Geste warf er seinen Mantel zurück, und eine in seine Weste geschobene Weinflasche kam zum Vorschein.
            »Die hab ich aus einem Regal im Speisesaal geklaut, im Speisesaal der feinen Leute, Friedrich. Möchte wetten, du hast so etwas noch nie im Leben gesehen. Armer Kerl. Aber Otto kennt so was. Er hat in den besten Sälen diniert, wurde gefeiert, von Adligen, Damen und Herren gleichermaßen. Wenn du ein solches Leben einmal geschmeckt hast, dann ist es schwer, verdammt schwer, wieder in die Armut zurückzusinken, und deshalb musst du kämpfen, verstehst du? Das hat nichts zu tun mit Sünden und deinem Geschwafel über das Böse. Überhaupt nichts. Es waren schwere Zeiten, Theater wurden geschlossen, es gab kaum Arbeit, nicht mal für einen wirklich guten Schauspieler. Also musste Otto sein Glück auf andere Weise machen.«
            Er kramte in dem Koffer und fand einen Korkenzieher. Kurz darauf saß er auf seiner Pritsche und trank aus der Flasche.
            »Ein feines Gebräu, mein Lieber. Verdammt gut. Und das, obwohl ich die Flasche unbesehen genommen habe, sozusagen. Aber hör mal, wusstest du, dass in diesem merkwürdigen Land kein Deutsch gesprochen wird? Nur die Sprache der Eingeborenen und Englisch. Also …« Er wedelte wissend mit der Flasche. »Damit bin ich dir um eine Nasenlänge voraus. Ich spreche ziemlich gut Englisch. Bin mal einem englischen Shakespeare-Darsteller begegnet, und der hat es
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