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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee
Autoren: Anne Witt de
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Begleiter saßen ab und eilten
auf das Haus zu, während der Beamte auf dem Kutschbock des Einspänners vor dem
Tor wartete. Neele hörte sie drinnen die Treppe hinaufpoltern – und dann ein
durchdringendes Gebrüll, als sie Frieder offenbar grob aus dem Schlaf weckten.
Gleich darauf erschienen sie in der Haustür. Sie hatten Frieder an Armen und
Beinen gepackt und trugen ihn, der erbittert strampelte, in den Hof hinaus, wo
sie ihn zu Boden warfen und ihm Handschellen anlegten. »Was stehst du da und
glotzt, blöde Kuh?«, schrie er Neele an. »Hilf mir!«
    Aber sie hätte ihm nicht geholfen, auch wenn sie es gekonnt hätte.
Mit ruhiger Stimme fragte sie den Beamten: »Warum verhaften Sie meinen Mann?«
    Â»Sie sind seine Frau? Na, dann nehmen Sie schon einmal Abschied von
ihm, denn Sie sehen ihn nicht wieder!«, antwortete der
Anführer, ein großer, rotgesichtiger Mann mit einem martialischen Schnurrbart.
    Â»Und warum? Ich weiß von gar nichts.«
    Â»Dann wird es Ihnen nicht gefallen, was Sie zu hören bekommen«,
sagte er. Während seine Untergebenen den tobenden Frieder mühsam zu dem Einspänner
schafften und ihm, nachdem sie ihn auf die Sitzbank gezwungen hatten, auch die
Beine fesselten, erklärte er: »Im Februar wurde in Bremerhaven eine reiche alte
Frau ermordet und ihr Geld geraubt. Wir wussten gleich, wer der Täter war, denn
der Kerl da wohnte als Untermieter bei ihr und verschwand nach dem Mord, aber
wir rannten zunächst einer falschen Spur nach … Er hatte sich als Seemann
ausgegeben, und so suchten wir im Hafen und auf den Schiffen. Aber jetzt haben
wir ihn.« Mit einer merkwürdigen Mischung aus Zynismus
und echtem Mitgefühl fügte er hinzu: »Machen Sie sich drauf gefasst, bald eine
Witwe zu sein, denn es war ein brutaler und niederträchtiger Mord, und der
Richter wird keine Gnade kennen. In solchen Fällen macht die Justiz kurzen
Prozess.«
    Â»Ich verstehe«, murmelte Neele.
    Der Polizist zögerte noch einen Augenblick. »Tut mir leid für Sie,
junge Frau, aber manchmal ist das Leben hart.« Damit
wandte er sich ab, stieg auf sein Pferd und bedeutete den anderen, ihm zu
folgen. Auch der Einspänner, auf dessen Sitzbank jetzt zwei Polizisten bemüht
waren, den trotz der Fesseln nur schwer zu bändigenden Frieder festzuhalten,
wendete und rasselte den holprigen Torweg hinunter. Das verzweifelte Geschrei
des Gefangenen und das Klappern der Hufe verhallten allmählich in der Ferne.
    Neele ließ sich auf den Prellstein sinken und starrte mit leerem
Blick über das Moor, das im ersten Sonnenschein unter ihr lag. Ihr einziger
Gedanke war: Endlich bin ich allein.
    Frieder beschäftigte sie kaum noch. Sie dachte weder mit Abscheu
noch mit Mitleid an ihn. Sie wollte auch nichts Näheres über das Verbrechen
wissen, dessentwegen man ihn verhaftet hatte. Nur weg sollte er aus ihrem
Leben, für immer weg! Jetzt erst kam ihr der Gedanke, dass ihr flehentlicher
Wunsch sich erfüllt hatte, wenn auch auf eine ganz unerwartete Weise. Und das
war gut so, denn da Frieder durch seine eigene Schuld aus ihrem Leben
verschwunden war, brauchte sie keine Gewissensbisse zu haben. Wäre er an einem
Schlangenbiss oder einem Treppensturz gestorben, wer weiß, ob sie sich nicht
früher oder später ein unerträgliches Gewissen daraus gemacht hätte, dass sie
ihm durch ihren Fluch das Leben verkürzt hatte?
    Sie saß träumend da, bis ein erneutes Hufgeklapper sie aufschreckte.
Diesmal waren es jedoch keine Polizisten. Es war Grete, die Frau des Pfarrers,
die in ihrem Ponygespann zum Moorhof heraufkam. Zweifellos hatte man im Dorf
unten die Polizisten mit ihrem Gefangenen gesehen.
    Grete stieg ab, führte ihr Pferdchen in den Schatten und band es
fest, dann kam sie zu Neele. Verlegen und voll Mitgefühl sagte sie: »Wir haben
erfahren, was geschehen ist. Ach, Neele, du tust mir so leid!«
    Neele verbarg ein Lächeln bei dem Gedanken, dass die gute Frau
meinte, sie trösten zu müssen, aber sie antwortete: »Ich habe gar nicht
mitbekommen, was sie eigentlich wollten.« Sie stand
auf und deutete aufs Haus. »Komm, wir gehen hinein. Es ist heiß, und du siehst durstig
aus.«
    Die Pfarrersfrau – eine rundliche Person, die in der Tat nur allzu
leicht ins Schwitzen geriet – dankte atemlos und folgte der Hausfrau in die
Kühle des Wohnzimmers. Neele holte
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