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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee
Autoren: Anne Witt de
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der Täfelung eine Ratte herumwuselte,
war sie überzeugt, dass im nächsten Augenblick die Tür klappen und sein Schritt
auf den Dielen knarren würde. Und eines Nachts sah sie ihn leibhaftig vor sich
stehen.
    Es war eine mondlose, stürmische Nacht, in der das Moor sich von
seiner hässlichsten Seite zeigte. Der Sturm heulte in den Kaminen, und Neele
dachte daran, wie Tante Käthe ihr erzählt hatte, das seien die armen Seelen,
die vom Friedhof hereingeflogen kämen, um sich in kalten Nächten zu wärmen. Sie
hatte alle Fensterläden geschlossen und die Haustür verbarrikadiert, denn ein
einsames Haus in dunkler Nacht lockte alles mögliche Gesindel an. Es war gegen
neun Uhr abends, als Gryff und Fang plötzlich gleichzeitig ihre klobigen
Schädel hoben und ein argwöhnisches Grollen hören ließen, das zweifelsfrei bedeutete:
Es ist jemand ums Haus. Leise stand sie auf, nahm ein geladenes Gewehr und
bedeutete den beiden Hunden mit einer Handbewegung, ihr zu folgen. Im Zwielicht
des niedrigen Kaminfeuers schlich sie durch die Diele zur Haustür und spähte
durch das rautenförmige Guckloch darin.
    Auf den Stufen vor der Tür stand ein Mensch, so vermummt in das
Ölzeug eines Matrosen, dass sie weder sein Geschlecht noch seine Gesichtszüge
erkennen konnte. Sie sah an seiner Bewegung, dass er gegen die Tür pochte, aber
der Sturm tobte so wütend, dass kein Geräusch von draußen hereindrang. Sie
hörte jedoch eines von drinnen: Als sie sich vorbeugte, rutschte der Kris, der
bis dahin immer sicher verwahrt in der Schärpe gesteckt hatte, wie von einer
unsichtbaren Hand gezogen aus den Falten heraus, fiel klirrend zu Boden und
drehte sich auf den Dielenbrettern mehrmals im Kreis. Neele hielt den Atem an.
Dann fiel ihr auf, dass die Hunde nicht mehr grollten, sondern dicht neben ihr
standen, den Leib gekrümmt und den Schwanz eingezogen. Ihre Augen fixierten die
Tür, als wollten sie sagen: Mach bloß nicht auf, lass nicht herein, was da
draußen steht!
    Aber sie legte das Gewehr beiseite und machte auf. Ein Schwall
eisiger nasser Luft peitschte herein, und mit einem torkelnden Schritt betrat
das in Ölzeug gehüllte Wesen ihr Haus. Wasser troff in Strömen von seiner glänzenden
Hülle. Sie hatte gerade noch Zeit, sich gegen den Sturm zu stemmen und die Tür
wieder sicher zu verschließen, bevor eine Hand sich auf ihren Arm legte und
eine weiche Stimme sie ansprach: »Neele, ich bin’s, dein Mann.«
    Ein solches Gefühl von Glückseligkeit überschwemmte sie, dass es ihr
im Augenblick gleichgültig war, ob sie Wahnvorstellungen hatte. Mochte sie
verrückt sein, wenn sie nur so glücklich sein konnte!
    Â»Ameya? Geliebter?«, flüsterte sie.
    Er knöpfte den schweren Mantel auf und streifte ihn ab, nahm den
gelben Südwester vom Kopf und wandte ihr sein dunkles, trotz der schützenden
Hülle von tropfnassen Haarsträhnen umrahmtes Gesicht zu. »Ja, Ameya. Es war
nicht leicht, dich zu finden.«
    Â»Aber du hast mich gefunden.« Sie griff mit
zitternden Händen nach der Gestalt, voll Furcht, sie könnte sich in
Nebelschwaden auflösen, sobald sie sie berührte. Aber ihre Finger berührten
einen festen Körper, ihre Arme umschlangen einen Menschen. Sie zog ihn an sich
und küsste ihn – rasch, damit der Traum nicht endete, bevor sie Gelegenheit
dazu gehabt hatte. »Du bist kalt«, flüsterte sie und dachte daran, dass die
Toten in kalten Nächten die Nähe der Lebenden suchen, um sich an ihnen zu
wärmen. »Komm, komm weiter, zieh deine feuchten Kleider aus!«
    Er folgte ihr ins Wohnzimmer und schälte sich aus den Kleidern,
stand im rötlichen Dämmerlicht in nackter Schönheit vor ihr. Sein Anblick
überwältigte sie derart, dass sie stammelte: »Komm in mein Bett, dort wirst du
wieder warm werden.« Sie nahm seine Hand und zog ihn
mit sich in ihr dunkles Zimmer. Ohne eine Kerze anzuzünden, wies sie ihn an,
ins Bett zu kriechen, während sie sich in aller Eile auszog. Dann schlüpfte sie
zu ihm unter die Decke, umfasste seinen Körper, drückte ihn eng an sich.
    Sie vernahm einen leisen Aufschrei. »Du bist schwanger!«
    Â»Ja, dein Kind ist mir geblieben. Aber komm zu mir, komm näher, komm
näher, damit du warm wirst.« So eng umschlungen, wie
ihre Schwangerschaft es zuließ, lagen sie im Dunkeln unter der warmen
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