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Im Jenseits ist die Hölle los

Titel: Im Jenseits ist die Hölle los
Autoren: Arto Paasilinna
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wichtigsten Hauptstädte der Welt geführt habe. Seine treuesten Jünger hätten bereits im beginnenden Herbst zu verstehen gegeben, dass er in diesem Jahr auch Helsinki besuchen werde.
    »Vor fünf Jahren sprach er in Stockholm, und somit ging Helsinki leer aus. Diesmal sind wir dran«, erklärte Cajander. »Meines Wissens will er mitten in der Nacht auf dem Senatsplatz sprechen, wahrscheinlich am Tag vor Heiligabend. Solche Veranstaltungen finden meis­ tens nachts statt, damit sie nicht durch Lebende gestört werden.«
    Cajander berichtete noch, dass sich Jesus von Hel­ sinki aus wahrscheinlich nach Moskau und Warschau begeben wolle und in den frühen Morgenstunden dann nach Budapest und Prag. In den Ländern des Ostblocks dauerten die Veranstaltungen nicht so lange, denn dort war weniger Publikum zu erwarten als im Westen.
    »In Osteuropa gibt es relativ wenig Tote, die an Jesus glauben«, fügte er erklärend hinzu.
    Zum Abschied wünschten wir Cajander frohe Weih­ nachten. Der frühere Ministerpräsident schritt dann weiter zur Nord-Esplanade; er wirkte würdevoll und distanziert und gerade dadurch ein wenig lächerlich.
    Der Selbstmörder dachte laut über das eben Gehörte nach: »Ich glaube nicht an das ganze Geschwätz von dem Besuch Jesu in Finnland, ich glaube nicht mal an Jesus selbst. Im Leben war ich eigentlich immer ein ausgesprochener Atheist, und nachdem ich mich er­ hängt hatte, konnte ich feststellen, dass ich damit gar nicht so falsch lag.«
    Das hinderte diesen Ungläubigen aber nicht daran, zusammen mit Huretta am besagten Abend auf den Senatsplatz zu kommen. Ein paar nervöse Apostel waren bereits da, sie richteten auf der Domtreppe den Platz für den Redner ein. Jesus würde von derselben Stelle aus sprechen, an der die Führer der beiden Arbeiterparteien am ersten Mai für gewöhnlich ihre Reden hielten. Auch die Stimmung war ähnlich der einer Massenversamm­ lung der Arbeiter: Geister strömten in dichten Scharen auf den Platz, man unterhielt sich im Stimmengewirr, begrüßte Bekannte. Huretta betrachtete die vieltau­ sendköpfige Menge und sagte:
    »Welche Masse von Menschen! Ich habe zu Lebzeiten nie mehr als hundert auf einem Fleck gesehen. Zu mei­ ner Zeit lebten in Finnland nicht mal halb so viele Men­ schen, wie jetzt hier auf diesem Platz versammelt sind.«
    Die Zusammensetzung des Publikums ließ noch ein­ mal all die schrecklichen Prüfungen aufleben, die das finnische Volk durchlitten hatte: Gefallene Soldaten aus den Kriegen, bis hin zum Dreißigjährigen Krieg, künde­ ten von einer blutigen Geschichte, und die vielen Ver­ hungerten aus dem neunzehnten Jahrhundert verdeut­ lichten das damals dieses Land beherrschende Elend. Arme Krüppel aus dem Mittelalter bildeten ihre eigene kleine Gruppe auf der Höhe der Universitätsbibliothek, und die im letzten Krieg gefallenen Veteranen waren eine große graue Masse, die mich zu Tränen rührte, denn viele von ihnen hatten Gliedmaßen eingebüßt, einige hatten nicht mal mehr einen Kopf.
    Unruhig wurde diskutiert, ob Jesus wirklich komme. Einige hegten starke Zweifel und wandten ein, dass es keinerlei gesicherte Erkenntnisse über seinen Besuch gebe. Doch auch sie entschlossen sich nicht, den Se­ natsplatz zu verlassen.
    Als Jesus schließlich tatsächlich erschien, wurde es mit einem Schlag still auf dem Platz. Er stieg auf die Domtreppe und sagte etwas zu den Aposteln, die um ihn herumwuselten und von denen ich, dem Aussehen nach, zumindest Markus und Lukas zu erkennen glaub­ te. Jesus selbst blieb gelassen, man sah, dass er ge­ wohnt war, vor großem Publikum aufzutreten.
    Das Aussehen Jesu beeindruckte mich, da es kaum dem Bild entsprach, das die Menschen sich von ihm machen. Er war ziemlich klein, um die dreißig, und sein Bart war eher spärlich. Er hatte eine kühne Adlernase, ein schmales, zartes Gesicht und trug das Haar gerade und halblang. Bekleidet war er mit einem gewöhnlichen Umhang, und die Füße steckten in zerrissenen Sanda­ len. Als ich ihn da im strengen Frost auf den schneebe­ deckten Steinstufen stehen sah, musste ich unwillkür­ lich denken, dass er sich, wenn er gelebt hätte, wahr­ scheinlich zu Tode erkältet hätte. Eine Dornenkrone entdeckte ich nicht auf seinem Kopf, vielleicht hatte er sie irgendwo vergessen. Jesus bewegte sich kraftvoll und geschmeidig, auch flink. Wenn er mit seinen Gehilfen sprach, unterstrich er seine Worte mit lebhaften Gesten. Anscheinend scherzte er, denn immer
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