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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök
Autoren: Oliver Henkel
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keinen Hellseher.«
»Du hast wirklich deinen Beruf verfehlt. Warum hast du diese Firma zum Aufarbeiten alter Kleidung gegründet? In unserer Abteilung für Aufklärung und Gegenspionage wärst du besser aufgehoben«, bemerkte Tubber scherzhaft. Sie schüttelte den Kopf. »Da wäre ich nur ein Untergebener. So bin ich wenigstens mein eigener Chef, auch wenn die Tage lang und anstrengend sind und unter dem Strich kaum etwas übrig bleibt. Und ich kann immerhin stolz darauf sein, das alles alleine aufgebaut zu haben ... während du Gott weiß wo warst.«
»Immer wieder das Gleiche! Ich kann diese Vorhaltungen nicht mehr hören!«, erwiderte Tubber gereizt. »Ich habe in den miesesten Ecken der miesesten Länder mein Leben riskiert! Hörst du? Mein Leben!«
Er wollte sich wieder in den Schutz seiner Zeitung flüchten, doch Ingrid riss sie ihm aufgebracht aus den Händen und warf die Seiten auf den Boden. Tubber fuhr zusammen und starrte sie mit offenem Mund an. »Dann will ich dir einmal etwas sagen, John Horatio Tubber!«, sagte sie voller Wut, aber dennoch beängstigend ruhig und nachdrücklich. »Glaubst du, es hat mir Spaß gemacht, mich hier alleine durchschlagen zu müssen, während du dich für den Geheimdienst in irgendwelchen Winkeln der Erde herumgetrieben hast? Als Deutsche allein hier in England, nur ein paar Jahre nach dem Krieg? Du musstest dich ja nicht tagtäglich mit den Behörden herumschlagen, die mir mit immer neuen Schikanen das Leben zur Hölle gemacht haben. Und die lieben Nachbarn erst! Jede Woche waren Gartenzaun und Haustür vollgeschmiert, mit so netten Sachen wie Nazihure . Das musste ich alles ganz alleine durchstehen, weil du mit deinen ständigen Reinfällen ja immer wieder die Versetzung zur Inlandsabteilung verspielt hast!«
Tubber erstarrte. Er spürte plötzlich die Wahrheit. Und sie war schmerzhaft.
»Ich glaube, ich habe alles falsch gemacht ...«, sagte er leise. »Ja, einfach alles, sag es ruhig. Es stimmt doch. Ich hätte mich nie um die Versetzung zum JIS bewerben dürfen ... ich dachte damals, dort sind die Aufstiegschancen größer, ich werde befördert und alles wird besser für uns. Doch seitdem ich dort bin, verfolgen mich die Fehlschläge ...«
Ingrid nickte. »Und ich weiß sogar, woran du immer wieder scheiterst. Sobald du dich auf etwas eingeschossen hast, rennst du mit Scheuklappen geradeaus, blind für alles, was gegen deine einmal gefasste Ansicht spricht – bis du am Ende wieder einmal gegen eine Mauer läufst. Ich kenne dich zu gut.«
»Holborne hat heute Nachmittag das Gleiche gesagt ... fast wörtlich.«
Sie ergriff seine Hand und sah ihm direkt in die Augen. »Ich sollte es dir eigentlich nicht verraten, aber ... vor zwei Tagen hat mich Doktor Preston, der Chefpsychologe eurer Abteilung, angerufen. Er hat mir vertraulich angedeutet, dass nach deinem letzten Einsatz einige Leute deine Dienstfähigkeit bezweifeln. Und dass er es unter den gegebenen Umständen nur allzu gut verstehen würde, wenn ich mich von dir trennen möchte.«
»Preston!«, schnaubte Tubber. »Dieser verdammte ... er hat dich schon vor Jahren auf der Weihnachtsfeier ständig so angestarrt! Was fällt dem eigentlich ein!
Denkt der denn ...«
Ingrids Finger schlossen sich fester um die Hand ihres Mannes, sodass er mitten im Satz verstummte. »Darum geht es jetzt nicht. John, ich bitte dich! Versprich mir, dass du dich diesmal nicht in irgendwelche Wolkenkuckucksheime versteigst.
Ich liebe dich, auch wenn es mir immer schwerer fällt. Mit deinem Verhalten zerstörst du dein Leben und meines. Es macht mich kaputt, und das nehme ich nicht länger auf mich. Das ist deine letzte Chance, verstehst du? Wenn du diesmal wieder mit Hirngespinsten deinen eigenen Erfolg sabotierst, dann muss ich an mich selber denken und meine Zukunft planen – ohne dich. Bitte zwinge mich nicht dazu!
Bleib bei deinen Ermittlungen auf dem Boden, verbeiß dich nicht vorschnell in unhaltbare Ideen. Versprich es mir!«
Ihre Worte waren eindringlich, fast beschwörend. Voller Schrecken erkannte Tubber, dass er aus eigener Schuld nahe daran war, Ingrid zu verlieren. Erst jetzt, zum ersten Mal nach langer Zeit, wurde ihm wieder bewusst, wie viel sie ihm bedeutete.
Außer ihr hatte er nichts mehr, an das es sich überhaupt noch zu glauben lohnte. Die Vorstellung, sie zu verlieren, schnürte ihm den Hals zu; es war, als würde sich eine riesige Klaue um seine Seele legen, um ihn zu erdrücken.
»Du hast mein Wort«, sagte er
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