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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals
Autoren: Orwell George
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Ende des 19. Jahrhunderts war es für einen Jungen ein wunderbares Erlebnis, H. G. Wells zu entdecken. Da steckte man in einer Welt von Pedanten, Klerikern und Golfnarren, wurde von seinen zukünftigen Arbeitgebern angetrieben, sich anzustrengen oder auszutreten, und von den Eltern sexuell systematisch kaputt gemacht, während stumpfsinnige Lehrer über ihre abgedroschenen lateinischen Wortspielereien kicherten; und hier war dieser wundervolle Mann, der einem von den Bewohnern der Planeten und vom Meeresboden erzählen konnte und der wußte, daß die Zukunft anders werden würde, als die ehrenwerten Leutchen sich das vorstellten. Ungefähr ein Jahrzehnt vor der technischen Verwirklichung des Flugzeuges wußte Wells schon, daß der Mensch in kurzer Zeit würde fliegen können. Er wußte das, weil er selbst unbedingt fliegen können wollte und allein deswegen überzeugt war, daß die Forschung vorangetrieben werden würde. Die allgemein verbreitete Ansicht dagegen lautete – selbst noch in meiner Kindheit und nachdem es den Gebrüdern Wright gelungen war, ihre Flugmaschine ganze neunundfünfzig Sekunden vom Boden abzuheben –, wenn Gott uns hätte fliegen lassen wollen, hätte er uns Flügel gegeben. Bis 1914 war Wells im wesentlichen ein wahrer Prophet. Die physikalischen Einzelheiten seiner Visionen der neuen Welt sind in einem erstaunlichen Ausmaß in Erfüllung gegangen.
    Aber weil er dem 19. Jahrhundert und einer unmilitärischen Nation und Klasse angehörte, konnte er die ungeheure Stärke der alten Welt, die nach seiner Vorstellung von fuchsjagenden Tories verkörpert wurde, nicht begreifen. Er war und ist immer noch gänzlich unfähig zu verstehen, daß Nationalismus, religiöse Bigotterie und feudale Loyalität weit mächtigere Kräfte sind als das, was er als Vernunft bezeichnen würde. Finstere Geschöpfe aus dem Mittelalter sind in die Gegenwart heraufgezogen, und wenn es Gespenster sind, so jedenfalls solche, die zu bannen es einen starken Zauber braucht. Die Leute, die bislang das Wesen des Faschismus am besten verstanden haben, haben entweder unter ihm gelitten oder haben selbst eine faschistische Ader. Ein ungeschminktes Buch wie etwa The Iron Heel (von Jack London, ersch. 1907), geschrieben vor fast dreißig Jahren, prophezeit ein wahrheitsgetreueres Bild der Zukunft als zum Beispiel Brave New World (Schöne neue Welt von Aldous Huxley, ersch. 1932) oder The Shape of Things to come (von H. G. Wells, ersch. 1933). Wenn man unter Wells’ Zeitgenossen einen Schriftsteller zu wählen hätte, den man ihm als Korrektiv gegenüberstellen könnte, möchte man Kipling herausgreifen, der gegen die schlimmen Einflüsterungen von Macht und militärischer Gloria nicht taub war. Kipling hätte die Anziehungskraft von Hitler oder auch von Stalin verstanden, wie auch immer seine Einstellung zu ihnen hätte sein mögen. Wells ist zu vernunftgläubig, um die moderne Welt verstehen zu können. Die Folge von Romanen für die untere Mittelklasse, die seine größte Leistung sind, hörte unvermittelt während des Ersten Weltkrieges auf und kam nie wieder richtig in Gang, und seit 1920 hat er seine Talente in papiernen Drachenkämpfen verschwendet. Aber letzten Endes ist es schon sehr viel, wenn man überhaupt Talente zum Verschwenden hat.
    Horizon , August 1941
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