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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals
Autoren: Orwell George
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richtigen Ausdrücken suchen mußte und auch suchte, unterzog ich mich der Mühe, alles genau zu schildern, fast gegen meinen Willen, wie unter einer Art von äußerem Zwang. In meiner »Geschichte« muß sich, wie ich annehme, der Stil der verschiedenen Autoren widergespiegelt haben, die ich je nach meinem Alter bewunderte, aber soweit ich mich erinnere, behielt ich meine peinlich genaue Milieuschilderung immer bei.
    Mit etwa sechzehn Jahren entdeckte ich plötzlich die Freude am bloßen Wort, das heißt am Wortklang und der Assoziation von Worten. Die Zeilen in Paradise Lost :
    So hee with difficulty and labour hard
    Moved on: with difficulty and labour hee
    [Mühselig und mit Arbeit hart, bewegte er sich fort: Mühselig und mit Arbeit hart], die mir heute nicht mehr ganz so hinreißend erscheinen, jagten mir einen Schauer nach dem andern über den Rücken, wobei die Schreibweise von »hee« statt »he« mich noch zusätzlich entzückte. Die Technik, etwas zu beschreiben, war mir hinlänglich vertraut. Es liegt also auf der Hand, welche Art von Büchern ich schreiben wollte, soweit man davon sprechen kann, daß ich zu jener Zeit überhaupt Bücher schreiben wollte. Ich wollte große naturalistische Romane mit einem unglücklichen Ausgang machen, voll minuziöser Beschreibungen und überraschender Vergleiche und ebenso reich an gedrechselten Passagen, in denen Worte hauptsächlich ihres Klanges wegen verwendet wurden. Tatsächlich kam mein erstes abgeschlossenes Buch Tage in Burma , das ich im Alter von dreißig Jahren schrieb, aber schon lange vorher mit mir herumgetragen hatte, dieser Art von Büchern ziemlich nah.
    Ich schildere meinen Werdegang deshalb so eingehend, weil ich glaube, daß man die Motive eines Schriftstellers besser versteht, wenn man etwas über die Anfänge seiner Entwicklung weiß. Seine Stoffwahl ist durch die Epoche bestimmt, in der er lebt – zumindest gilt dies für eine so aufgewühlte, revolutionäre Zeit wie die unsere –, bevor er jedoch überhaupt zu schreiben beginnt, wird er bereits eine emotionale Haltung haben, von der er sich nie ganz freimachen wird. Es gehört zweifelsohne zu seinem Beruf, sein Temperament zu disziplinieren und zu vermeiden, in einer Phase der Unreife oder Un-Natur steckenzubleiben. Löst er sich aber völlig von den Einflüssen seiner Freizeit, tötet er damit den Impuls seines Schaffens überhaupt. Abgesehen von der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, glaube ich, daß es vier Hauptmotive dafür gibt, daß man schreibt, zumindest Prosa. Sie finden sich graduell verschieden bei jedem Schriftsteller, und verschieden stark je nach der Atmosphäre, in der er lebt. Es sind:
    1. Reiner Egoismus. Der Wunsch, überlegen zu erscheinen, jemand zu sein, über den man spricht und den man auch nach seinem Tod nicht vergißt; den Erwachsenen die Nichtachtung heimzuzahlen, die sie einen als Kind haben fühlen lassen etc. etc. Leugnen zu wollen, daß das ein Grund ist, und zwar ein sehr starker, ist einfach lächerlich. Schriftsteller teilen diesen Charakterzug mit Wissenschaftlern, Künstlern, Politikern, Rechtsanwälten, Soldaten, erfolgreichen Geschäftsleuten, kurz, mit der gesamten Obergarnitur der Menschheit. Die große Masse menschlicher Wesen ist nicht so ausgesprochen ichbezogen. Nach dreißig geben sie jeden individuellen Ehrgeiz auf – ja sie verlieren vielfach fast gänzlich das Gefühl für ihre eigene Persönlichkeit – und leben hauptsächlich für andere oder werden einfach in der Knochenmühle der Alltagsarbeit aufgerieben. Dagegen steht eine Minderheit von begabten, selbstbewußten Menschen, die entschlossen sind, ihr eigenes Leben bis zum Ende zu leben, und zu ihnen gehören die Schriftsteller. Ernstzunehmende Schriftsteller sind meiner Meinung nach im allgemeinen eitler und egozentrischer als Journalisten, dafür weniger an Geld interessiert.
    2. Ästhetischer Enthusiasmus. Sinn für die Schönheit der Umwelt oder für Worte und ihre richtige Anordnung. Freude an der Wechselwirkung von Klängen, an der Geschlossenheit guter Prosa oder dem Rhythmus einer guten Erzählung. Der Wunsch, mit andern ein Erlebnis zu teilen, das man als wertvoll empfindet und nicht in Vergessenheit geraten lassen möchte. Das ästhetische Motiv ist bei vielen Schriftstellern nur in geringem Maße vorhanden, aber selbst ein Pamphletist oder ein Verfasser von Lehrbüchern wird eine Liebe zu bestimmten Wörtern und Ausdrücken haben, die nicht zweckhaft bestimmt ist, oder ein
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