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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals
Autoren: Orwell George
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Zivilisation fort, und in allen Sprachgebieten herrscht ein großer Mangel an dem, was man als Kolonialliteratur bezeichnen könnte. Es bedurfte eines geradezu unwahrscheinlichen Zusammentreffens von Umständen, damit Kiplings buntes Gemälde entstehen konnte, in dem der Gemeine Ortheris und Missis Hauksbee sich vor einem Hintergrund mit Palmen zum Klang von Tempelglocken bewegen; und eine notwendige Bedingung war, daß Kipling selbst nur halb zivilisiert war.
    Er ist der einzige englische Schriftsteller unserer Epoche, der die Sprache um neue Ausdrücke bereichert hat. Wendungen und Wortschöpfungen, die wir übernommen haben und benutzen, ohne uns an ihre Herkunft zu erinnern, stammen nicht immer von Schriftstellern, die wir bewundern. Sonderbar ist es zum Beispiel, Nazi-Sprecher im Radio den russischen Soldaten einen »Roboter« nennen zu hören, ein Wort von einem tschechischen Demokraten, den sie umgebracht hätten, wenn sie ihn hätten erwischen können. Von Kipling stammen wenigstens ein halbes Dutzend Ausdrücke, die man in Leitartikeln der Asphaltpresse oder in Bars von Leuten hören kann, die kaum seinen Namen kennen. All diesen Ausdrücken ist, wie man sehen wird, ein besonderes Merkmal gemeinsam:
    East is East, and West is West.
    The white man’s burden.
    What do they know of England who only England know?
    The female of the species is more deadly than the male.
    Somewhere East of Suez.
    Paying the Danegeld.
    [Ost bleibt Ost, und West bleibt West. Die Last des weißen Mannes. Was wissen die von England, die nur England kennen? Das Weibchen dieser Gattung ist tödlicher als das Männchen. Irgendwo östlich von Suez. Die Dänensteuer zahlen.]
    Es gibt noch mehr davon, darunter auch solche, deren ursprünglicher Zusammenhang seit langem verlorengegangen ist. Der Ausdruck »Krüger mit dem Mund umbringen« war noch bis vor kurzem in Gebrauch. Vielleicht war es Kipling, der als erster die Bezeichnung »Hunnen« für die Deutschen in Umlauf setzte. Jedenfalls benutzte er ihn, sobald 1914 die Kanonen zu sprechen begannen. Was die oben angeführten Wendungen sämtlich gemeinsam haben, ist der halb ironische Ton, mit dem man sie ausspricht, und daß man sie doch früher oder später ernsthaft zu verwenden hat. Niemand konnte New Statesman an Verachtung für Kipling übertreffen, und wie oft hat der gleiche New Statesman während der Zeit des Münchner Abkommens den Ausdruck »Die Dänensteuer zahlen« zitiert. Tatsache ist, daß Kipling, abgesehen von seinem Snackbar-Geschwätz, mit seiner Gabe, in ein paar Worte einen Haufen billiger Stimmungseffekte zu packen (»Palme und Pinie«, »Östlich von Suez«, »Die Straße nach Mandalay«), zum großen Teil über Dinge spricht, die von größter Aktualität sind. Unter diesem Gesichtspunkt spielt es keine Rolle, daß intelligente, anständige Menschen sich meistens auf der andern Seite befinden. »Die Last des weißen Mannes« beschwört sofort ein echtes Problem herauf, auch wenn man das Gefühl hat, daß es eigentlich in »Des schwarzen Mannes Last« abgeändert werden müßte. Man mag völlig konträr zu der politischen Haltung in The Islanders stehen, aber man wird nicht behaupten können, daß diese Haltung frivol ist. Kipling behandelt Ansichten, die ebenso vulgär wie dauerhaft sind. Damit erhebt sich die Frage nach seiner besonderen Stellung als Dichter oder Verfasser von Versen.
    Eliot bezeichnet Kiplings metrisches Werk als »Verse« und nicht als »Lyrik«, setzt aber hinzu, daß es sich um »große Verse« handele, und führt weiter aus, daß man einen Schriftsteller nur dann einen großen Versdichter nennen könne, wenn man von einem Teil seines Werkes »nicht zu sagen vermag, ob es sich um Verse oder Lyrik handelt«. Offensichtlich war Kipling ein Versemacher, der gelegentlich auch Lyrik schrieb. Schade, daß Eliot sie nicht namentlich angeführt hat. Immer, wenn es um eine ästhetische Beurteilung des Kiplingschen Werkes geht, bleibt Eliot zu sehr in der Defensive, um offen sprechen zu können. Meiner Meinung nach sollte man eine Diskussion über Kipling mit der Feststellung beginnen, daß die meisten seiner Verse so entsetzlich vulgär sind, daß man beim Lesen dasselbe Gefühl hat wie bei einer drittklassigen Music-Hall-Darbietung von »Der Zopf des Wu Fang Fu« mit knallrotem Scheinwerferlicht auf dem Gesicht des Rezitators. Und dennoch findet sich vieles, was einem Freude machen kann, wenn man etwas von Dichtung versteht. Die Lektüre seiner
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